Böses Erwachen an den Märkten?

Wirtschaftsexperten fürchten einen „verrückten Wahlausgang und warnen davor, Trump vorzeitig abzuschreiben. | dpa

Der Wahlkampf um die Präsidentschaft in den USA geht auf die Zielgerade, der Wettlauf ums Weiße Haus polarisiert wie kaum ein früheres politisches Kräftemessen die Bürger in den Vereinigten Staaten. An den Finanzmärkten herrschte in den vergangenen Tagen dennoch vor allem eines: Ruhe und Gelassenheit.

Nach drei TV-Debatten scheint Hillary Clinton laut Meinungsumfragen gegenüber Donald Trump die Nase vorn zu haben. Aber Ökonomen warnen: Ähnlich wie beim Brexit-Beschluss könnte nach der Abstimmung um das mächtigste Amt der Welt an den Börsen ein böses Erwachen drohen.

Nicht nur Ralf Wiedenmann von der Vontobel-Bank sieht die Gefahr einer Wiederholung des Schocks nach dem überraschenden Votum zum britischen EU-Ausstieg. Beeinflusst von starken Emotionen könnte der Urnengang in den USA erneut zu einem „verrückten Wahlausgang“ führen.

David Folkerts-Landau, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, beurteilt die Lage ähnlich. Nach den Erfahrungen aus dem Brexit-Referendum wäre es „geradezu töricht“, den gleichen Fehler noch einmal zu begehen. Trump sollte man nicht vorzeitig abschreiben, warnt er.

Bei vielen Wirtschaftsexperten gibt es in einem Punkt Einigkeit: Ein Wahlsieg Trumps würde Risiken für die Entwicklung der Finanzmärkte bergen. „Man ist gut beraten, Clinton als Favoritin zu sehen und sich gleichzeitig auf einen Wahlsieg von Trump vorzubereiten“, rät David Kohl, Chefvolkswirt für Deutschland beim Bankhaus Julius Bär.

Der Dollar ist nach wie vor die weltweit wichtigste Reservewährung.

Ein Trump-Erfolg könnte zunächst eine Flucht aus riskanteren Anlagen wie Aktien in „sichere Häfen“ auslösen. „Davon dürfte vor allem der US-Dollar profitieren, auch wenn dies auf den ersten Blick widersinnig erscheint“, erklärt Kohl. Der Dollar ist nach wie vor die weltweit wichtigste Reservewährung und steht in unsicheren Börsenzeiten immer ganz oben auf den Kaufzetteln der Anleger.

Selbst wenn kurzfristig Unsicherheit abzusehen ist: Auf längere Sicht dürften die US-Aktienkurse sowohl bei einem Wahlsieg von Clinton als auch von Trump wohl zulegen. Beide Kandidaten wollen die Wirtschaft mit staatlichen Investitionsprogrammen stärker in Schwung bringen.

Ein konjunktureller Schub würde zu höheren Unternehmensgewinnen und steigenden Aktienkursen führen. Sollten die Investitionen auch in langfristige Infrastruktur-Projekte fließen, könnte der Aufschwung nachhaltig sein und über ein bloßes Strohfeuer hinausgehen.

Allerdings sieht Deutsche-Bank-Experte John Tierney eine große Hürde für Investitionen in die Infrastruktur: „Die ewigen politischen Probleme verkrusteter Strukturen behindern jeden Fortschritt.“ Wenn Clinton oder Trump die US-Infrastruktur wirklich fit machen wollen, müssten sie zunächst dies anpacken, meint Tierney. „Ansonsten werden beide nur ziemlich viel Geld ausgeben und damit wenig erreichen.“

Und drohen bei einem Wahlsieg Trumps Gefahren für die Weltwirtschaft? Sein Programm wird als schädlich für den globalen Handel angesehen. Wiedenmann warnt, dass die angekündigte Einschränkung des freien Handels negative Folgen für die Konjunkturentwicklung haben könnte.

Außerdem verweisen Experten auf Risiken, die sich aus der ablehnenden Haltung Trumps in der Einwanderungsfrage ergeben. Sollte er seine Pläne in die Tat umsetzen, würde dies zu einem spürbaren Rückgang der Arbeitskräfte auf dem US-Arbeitsmarkt führen und Löhne hochtreiben.

Durch Trumps droht größeres Ungemach für die Aktienmärkte.

Wiedenmann schätzt auch das Wahlprogramm von Hillary Clinton als eher schädlich für den freien Welthandel ein. Allerdings sei ihre Haltung bei weitem nicht so extrem wie diejenige Trumps. Und im Falle eines Siegs der Demokratin könnte das republikanisch dominierte Repräsentantenhaus etliche Projekte der ersten Präsidentin in der Geschichte der USA ausbremsen. Clinton dürfte daher nur einen kleinen Teil ihrer Maßnahmen aus dem Wahlprogramm in die Tat umsetzen können.

Im direkten Vergleich der beiden Kandidaten könnte durch Trumps Politik nach Einschätzung der meisten Ökonomen weitaus größeres Ungemach für die Aktienmärkte und die Konjunktur resultieren.

Das renommierte Peterson Institute of Economic Policy will bei einer Umsetzung von Trumps Wahlversprechen auf lange Sicht sogar ein Abrutschen der amerikanischen Wirtschaft in eine Rezession nicht ausschließen – mit negativen Folgen für die gesamte Weltwirtschaft. (dpa)