Nachtnotizen: Nach 800 Jahren

Wenn am 13. August Mauro Lepori, der Generalobere der Zisterzienser, die Abtei Val-Dieu besucht, wird er dort keine Mönche vorfinden. Der Letzte von ihnen hat vor einigen Jahren die Klausur verlassen.

Ein aus der Schweiz herbei geeilter Abt hatte noch einen Rettungsversuch unternommen, aber todkrank reichten seine Kräfte nicht mehr. Keine gregorianischen Gesänge mehr, das Kloster steht verwaist.

Dennoch wird der Ehrengast zum 800. Jahrestag der Gründung von einer kleinen Gemeinschaft aus Männern und Frauen empfangen, die sich „zisterziensisch“ nennt, und die alte Tradition von „Ora et labora – bete und arbeite“ im Tal der Berwinne wieder aufgenommen hat. An zwei Händen kann man sie zählen, es geht sehr schlicht zu. Mit Hilfe von Gönnern richten sie die Gebäude wieder auf. Ihre Gebetszeiten verbringen sie nicht mehr im Chor, sondern in einer Seitenkapelle.

Sonderbar, dass diese Gruppe dort fast alleine bleibt, während in der Abtei wöchentlich einige tausend Menschen zirkulieren: Neugierige, die auf die Stille nicht achten; Touristen, die nur auf ein Bier und etwas Käse kommen; Staunende, die sonst keine Kirche mehr betreten; aber auch Notleidende, die eine Kerze anzünden und ihren Schmerz der Madonna anvertrauen. Diese Situation ist kennzeichnend für die westliche Kirche: Es herrscht Leere, doch an ihren Rändern nähern sich Fremde, Einsame, Sehnsüchtige und Sucher.

In ihrer langen Geschichte ist die Kirche wiederholt zur Minderheit geschrumpft. Meist führten Machtsucht und Reichtum zu Abstürzen. Doch der junge Mann aus Nazareth und seine Freunde waren selbst verfolgte Minderheit. Die von Bestien zerrissenen Märtyrer und auf Scheiterhaufen Verbrannten nicht minder. Maximilian Kolbe ging freiwillig in den Hungerbunker, Edith Stein verschwand in den Gaskammern von Auschwitz.

Val-Dieu, Gottestal, das klingt beruhigend, ist jedoch kein Idyll. In der sich stets erneuernden Kirche geschieht hier ein bescheidener Neubeginn. Blütezeiten waren immer die verführerische Ausnahme und, wie so oft im Leben, nicht ungefährlich.