„Zügellose“ Reds begeistern England

Jürgen Klopp führte den FC Liverpool an die Spitze der Premier League. | afp

Der Champagner-Fußball seiner „Ballermänner“ berauschte auch Jürgen Klopp sichtlich, die erstmalige Tabellenführung mit dem FC Liverpool aber war für den Teammanager der Reds eher nebensächlich. „Es tut mir ja wirklich leid“, sagte Klopp nach dem furiosen 6:1 (3:0)-Sieg gegen den FC Watford, „aber wenn jemand meint, das hätte wegweisenden Charakter, kann ich nicht helfen.“

Klopp musste sich zurückhaltend äußern, und irgendwie hatte er mit seiner Einschätzung ja auch recht. Dass Liverpool nach elf Spieltagen und damit erstmals seit Mai 2014 die Premier League wieder anführt, ist tatsächlich (noch) nicht mehr als eine Momentaufnahme. Der FC Chelsea liegt schließlich nur einen Zähler dahinter, auch der große Titelfavorit Manchester City mit dem Star-Trainer Pep Guardiola und der FC Arsenal haben nur zwei Punkte Rückstand.

Die Art und Weise allerdings, mit der das Klopp-Team an die Spitze stürmte, dürfte auch den deutschen Heilsbringer zuversichtlich gestimmt haben. Nicht umsonst sprach Klopp später von einer „absolut guten Leistung“ an einem „perfekten Nachmittag“, an dem „Selbstvertrauen, Qualität und Einstellung“ die gewinnbringenden Faktoren gewesen waren.

Und sollten die „Rampant Reds“ (Mirror), also die zügellosen Liverpooler, auch künftig derart dominant auftreten und ihre Serie von nun schon neun Spielen ohne Niederlage weiter ausbauen, könnte der Platz an der Sonne zur Gewohnheit werden. Dank brillanter Ball-Zauberer wie Roberto Firmino oder Philippe Coutinho. Vor allem aber dank Jürgen Klopp.

„Wir wissen alle, was für ein exzellenter Trainer er ist und wie erfolgreich er sein kann. Er ist fantastisch und eine große Persönlichkeit“, sagte Nationalspieler Ilkay Gündogan, der Klopp aus der gemeinsamen Zeit bei Borussia Dortmund bestens kennt und nun mit Manchester City versucht, „Jürgen nicht so erfolgreich zu machen.“ Ob das gelingen wird?

Klopp scheint in der Vorbereitung die richtige Taktik zu wählen, in der Kabine die richten Worte zu sprechen und so seine Mannschaft perfekt einzustellen. Binnen 395 Tagen hat er die Reds so vom zehnten Platz an die Spitze geführt, aber, viel wichtiger: Von einer langweiligen Truppe zur spektakulären Hauptattraktion der schillernden Premier League transformiert. „Dieser Kerl scheint zu wissen, was er tut“, urteilte Englands Fußball-Legende Gary Lineker bei Twitter.

Steven Gerrard könnte nach seinem Play-off-Aus in der amerikanischen Major League Soccer zum Coachingteam stoßen.

Die Partie gegen Watford, als Tabellenachter beileibe kein Kanonenfutter, bestärkte die Experten in ihrer Einschätzung. Noch vor den Treffern von Sadio Mané (27./61.), Coutinho (30.), Emre Can (43.) Firmino (57.) und Georginio Wijnaldum (90.+1) hätten die Reds klar in Führung liegen können. Watfords Teammanager Walter Mazzari schwärmte, dass Liverpool „mich von den Teams, gegen die wir bisher gespielt haben, am meisten beeindruckt hat.“ Chelsea, Arsenal oder Manchester United besaßen zwar alle ihre Klasse, „aber wenn Liverpool so weiter spielt, sind sie mein Top-Kandidat für den Meistertitel.“

Und Klopp hat sogar noch einige Asse im Ärmel. Klub-Legende Steven Gerrard könnte nach seinem Play-off-Aus mit den Los Angeles Galaxy in der amerikanischen Major League Soccer (MLS) zum Coachingteam stoßen, zudem haben die Reds offenbar das Limit noch lange nicht erreicht. „Wir befinden und im Aufbau und können noch viel verbessern“, sagte Klopp. Es klang wie eine Drohung. (sid)