Tour-Hochspannung vor den Alpen - Trümpfe liegen bei Froome

Rigoberto Uran (Vierter), Christopher Froome (Erster), Romain Bardet (Dritter) und Fabio Aru (Zweiter) liegen im Gesamtklassement an der Spitze. | afp



Die Alpenetappen am Mittwoch über den Col du Galibier und am Donnerstag auf den Col d’Izoard versprechen Nervenkitzel, die Tour ist so spannend wie seit Jahren nicht. Froome nimmt ein zartes Polster von 18 Sekunden Vorsprung auf den Italiener Fabio Aru mit, aber auch der französische Hoffnungsträger Romain Bardet, der Kolumbianer Rigoberto Uran, der zähe Ire Daniel Martin und sogar Froomes Edelhelfer Mikel Landa könnten noch ein Wörtchen mitsprechen. Der SID nimmt die Ausgangslage im Kampf um den Tour-Triumph unter die Lupe:

Christopher Froome (1./Großbritannien/Sky): Der 32-Jährige gab sich am Ruhetag nahbar, schrieb Autogramme, bevor er zu einer kleinen Trainingsfahrt aufbrach. Der Tour-Regent ist guter Dinge, am Wochenende war er auf die Pole Position zurückgekehrt und sieht nun die Herausforderer am Zug. „Meine Rivalen müssen vor dem Zeitfahren einen Vorsprung herausfahren“, sagt er. Der Kampf gegen die Uhr am Samstag in Marseille (22,5 km) ist neben seiner überragenden Sky-Armada der große Trumpf des dreimaligen Champions. Froome wirkte in den Pyrenäen verwundbar, dann aber wieder stabiler. Nur ein dramatischer Einbruch in den Alpen dürfte seinen vierten Gesamtsieg verhindern.

Fabio Aru (2./Italien/Astana/18 Sekunden zurück): Als Aru in den Vogesen die erste Bergankunft gewann, ließ ihm Froome noch Spielraum. Inzwischen hat der Brite gemerkt, dass das keine gute Idee war. Aru entriss dem Titelverteidiger zwischenzeitlich das „Maillot jaune“, war in Rodez dann aber nicht auf der Höhe des Geschehens. Sein womöglich entscheidender Nachteil: Der 27-Jährige hat kein vergleichbar starkes Team an seiner Seite, Astana ist nicht in der Lage, das Rennen zu diktieren. Aru hat deshalb keine gute Karten, zumal er im Zeitfahren weitere Zeit einbüßen wird. Seine einzige Chance ist ein Husarenritt in den Alpen.

Romain Bardet (3./Frankreich/AG2R/23 Sekunden): Bardet ist der einzige Sieganwärter, der über eine annähernd so fähige Mannschaft verfügt wie Froome mit Sky. AG2R scheint auch in der Breite dem Rennen gewachsen, am Sonntag im Zentralmassiv zwangen sie die Briten sogar in die Defensive. Bardet trägt die Hoffnungen der Franzosen auf den ersten Tour-Triumph seit 1985 und hat dafür einen maßgeschneiderten Kurs bekommen. Die wenigen Zeitfahrkilometer kaschieren seine große Schwäche, die teils technisch schwierigen Abfahrten begünstigen seine Stärke. Und auch die Fans sind auf seiner Seite: Als es am Sonntag durch die Heimatregion (Auvergne) ging, waren teilweise Buhrufe und Pfiffe gegen Froome vernehmbar.

Rigoberto Uran (4./Kolumbien/Cannondale-Drapac/29 Sekunden): Kaum jemand spricht bislang über den 30-Jährigen, der die verrückte Königsetappe in Chambéry gewann, auf der Richie Porte (Australien) so schwer stürzte. Nur 29 Sekunden fehlen Uran auf Froome, er ist so etwas wie der Schattenmann im Kreise der Favoriten. „Es wird so eng bleiben, bis einem der K.o.-Schlag gelingt“, meinte Urans Sportdirektor Charles Wegelius. Nicht ausgeschlossen, dass dieser „Lucky Punch“ dem bisher immer wachsamen Uran gelingt. Es wäre die Krönung einer herzergreifenden Lebensgeschichte. Mit 14 verlor Uran seinen Vater, verkaufte Lotterie-Lose, um die Familie zu ernähren. Der Radsport führte ihn dann aus der Armut.

Romain Bardet ist der einzige Sieganwärter, der über eine annähernd so fähige Mannschaft verfügt wie Froome.

Daniel Martin (5./Irland/Quick-Step Floors/1:12 Minuten): Auch Martin aus dem belgischen Quick-Step-Team ist noch in Reichweite. Am Sonntag wurde er für seine Angriffslust mit einigen Sekunden Zeitgewinn belohnt. Und hätte Richie Porte bei seinem schlimmen Crash nicht den 30-Jährigen mit zu Boden gerissen, wäre Martin wohl noch näher dran am Gelben Trikot. Aber: Der Ire ist ein leidlicher Zeitfahrer, die Siegchance eher theoretischer Natur. Vor der Tour hatte er eine interessante These. „Es gewinnt am Ende der, der den besten schlechten Tag hat“, sagte Martin.

Mikel Landa (6./Spanien/Sky/1:17 Minuten): Er ist vor allem für Froomes Kontrahenten die unbekannte Variable im Spiel. Landa wurde am Sonntag im Zentralmassiv zwar zu seinem Kapitän abkommandiert, als dieser nach einem Hinterrad-Defekt verzweifelt um den Anschluss kämpfte. Damit nahm er seine Rolle als Edelhelfer ein. Dennoch bietet er Sky eine zweite Option. Allerdings hat Landa den Giro d’Italia in den Beinen, was sich in den Alpen noch auswirken kann. (sid)