Tour-Debüt für den Videobeweis

Die Luft im abgedunkelten Inneren eines weißen Kleintransporters mit Schweizer Kennzeichen steht, die Temperaturen im französischen Hochsommer sind schon am frühen Mittag hoch. Von den komfortablen High-Tech-Zentren ihrer Kollegen bei der Fußball-WM in Russland können die Radsport-Regelhüter beim Blick auf ihre vier kleinen Bildschirme nur träumen.

In einem höchst unscheinbaren Rahmen wird bei der 105. Frankreich-Rundfahrt über Recht und Unrecht mitentschieden.

In der Technischen Zone im Zielbereich, zwischen Kommentatorentribüne und dem Kabellabyrinth der TV-Übertragungswagen, wachen in einem Van erstmals Videoreferees über den Verlauf der Frankreich-Rundfahrt.

„Die Absicht ist, alle neuen Technologien und erzeugten Bilder der TV-Sender jeder Etappe zu nutzen“, sagte John Lelangue von der Technischen Delegation des Weltverbandes UCI.

Fünf Motorräder und zwei Helikopter produzieren während jedes Tagesabschnitts durchgehend Live-Bilder. Ein Vertreter der multinationalen Rennjury hält sich während der Etappen stets im Videofahrzeug auf, er kann die Aufnahmen des gesamten Tages vor- und zurückspulen und sich so ein „umfassendes Bild machen“.

Im Zielbereich ergänzen fest montierte Kameras die Analysemöglichkeiten. In den oft chaotischen und hart umkämpften Massensprints sollen unerlaubte Manöver so genau erkannt, Fehlurteile wie bei der Tour 2017 verhindert werden.

Der damalige Fall Sagan ist für die UCI noch immer ein heikler. Fragen an die Kommissäre sind nicht erwünscht, auch Lelangue reagiert ausweichend. Er sei, sagt er auf Nachfrage, schließlich von der Technischen Delegation und könne keine Urteile bewerten.

Im Vorjahr hatte der Zielsprint der vierten Etappe in Vittel für Wirbel gesorgt. Sagan war von der Rennleitung aus dem Wettbewerb genommen worden, nachdem er mit Mark Cavendish kollidiert war. Der Brite war bei der Aktion in die Absperrung gestürzt und hatte sich das Schulterblatt gebrochen. Der Internationale Sportgerichtshof CAS sprach Sagan später von der Schuld am Sturz frei. Die UCI entschuldigte sich.

Dass diese eine Reaktion auf den Fall Sagan ist, wollte Lelangue indes nicht bestätigen. Es habe 2017 schon vor der Tour Testläufe gegeben, etwa bei der Tour de Suisse. Seit der laufenden Saison kommt der Videoschiedsrichter bei den drei großen Landesrundfahrten Giro, Tour und Vuelta, aber auch den fünf Monumenten wie Paris-Roubaix und der WM im September zum Einsatz. „Es gibt immer Raum für Fehler. Aber wir nutzen alle verfügbaren Elemente. Wir haben von Kilometer null bis zum Ziel alles im Blick“, sagte Lelangue. Einen neuerlichen Fall Sagan soll es nicht geben. (sid)