Martins Traum von Gelb lebt weiter

Das Ziel in Lüttich erreichte der 32-Jährige nämlich nach einem Massensturz blutend. | belga



Befreit vom großen Erwartungsdruck schaltete Tony Martin in den Wohlfühlmodus. Unbeschwert und gelöst genoss der nach dem verregneten Auftaktzeitfahren noch tief geknickte Weltmeister den Start der zweiten Tour-Etappe am Düsseldorfer Rheinufer. Lächelnd winkte er den jubelnden Fans zu, ehe der äußerst bewegende, doch sportlich ernüchternde erste Grand Départ in Deutschland seit drei Jahrzehnten für ihn endete. Der Traum vom Gelben Trikot beim Heimspiel war unerfüllt geblieben, die wohl einmalige Chance ausgelassen worden. Die anfängliche Enttäuschung hatte sich am Sonntagmorgen aber längst gelegt. „Ich komme mit der Situation klar, der Kopf ist nicht unten“, sagte Martin, der das 14 km lange Einzelzeitfahren am Samstag als Vierter beendet hatte. Dauerregen hatte das Rennen zu einer Lotterie gemacht, der Grund für Martins Rückstand von acht Sekunden auf den siegreichen Briten Geraint Thomas (Sky) war er dennoch nicht. Dem viermaligen Weltmeister, bei der ersten Zeitmessung noch in Führung liegend, gingen auf dem Weg ins Ziel schlichtweg die Kräfte aus. „Mir sind die Beine eingeschlafen. Ich habe am Anfang das eine oder andere Korn zu viel verschossen“, gestand der 32-Jährige.

Der Traum vom Gelben Trikot beim Heimspiel war für Tony Martin unerfüllt geblieben.

Im Moment der Niederlage zeigte Martin trotz der „unendlichen Enttäuschung“ Größe. Minutenlang schrieb der Katjuscha-Profi Autogramme und erfüllte am Teambus jeden Selfie-Wunsch geduldig. „Dass die Fans so zahlreich gekommen sind, verdient Respekt. Es ist doch ganz klar, dass ich mir die Zeit nehme“, sagte Martin, der wie alle deutschen Fahrer von der Atmosphäre schwärmte und sich so revanchierte.

Ohne Gelb auf den Schultern, aber mit neuen Zielen verließ Martin am Sonntag die deutschen Fans. Auf den Sprintetappen will sich der Deutsche für den Norweger Alexander Kristoff einsetzen, auch persönliche Ambitionen möchte er verfolgen. „Ich will Ausreißergruppen besetzen und dort meine Chance suchen“, sagte Martin. Der Sprung in Fluchtgruppen ist für Martin ein erfolgversprechendes und erprobtes Modell: 2014 hatte Martin als Solist einen Etappensieg gefeiert, 2015 siegte nach einer Attacke aus einer Spitzengruppe heraus und sicherte sich in Cambrai erstmals das Gelbe Trikot.

Zwei Jahre später sind Parallelen vorhanden. Auch damals hatte Martin den Sieg im Auftakt-Zeitfahren verpasst, sich in den Folgeetappen aber sukzessive der Spitze genähert. Eine Wiederholung scheint nicht ausgeschlossen. Zumindest am Montag bietet die hügelige dritte Etappe ins französische Longwy ein für Ausreißer günstiges Terrain. „Da könnte etwas für mich drin sein“, sagte Martin, „aber das ist Spekulation.“ Das erklärte er aber vor der Etappe. Das Ziel in Lüttich erreichte der 32-Jährige nämlich nach einem Massensturz blutend. (sid)