Calgary vor dem Aus - Winterspiele im Überlebenskampf

Calgary war bereits 1988 Gastgeber der Spiele. Dieses Bild wurde bei der Eröffnungsfeier im McMahon-Stadion festgehalten. Archivbild: dpa | 4

Beim kanadischen Bund der Steuerzahler stellen sie schon mal den Schampus kalt. Vor gut einer Woche bewirteten noch ein paar Mitglieder der Organisation in Schweden-Flaggen gehüllt vor einer Ikea-Filiale in Calgary die verdutzten Kunden mit Köttbullar. Mit den Fleischbällchen wollten sie für die Olympia-Bewerbung von Stockholm werben, vor allem aber Stimmung gegen die kanadische Kampagne machen.

Nun steht die Bewerbung Calgarys für die Winterspiele 2026 tatsächlich vor dem Aus, nur drei Wochen, nachdem die Stadt auf der Session des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Buenos Aires neben Mailand und Stockholm zum offiziellen Kandidaten gekürt worden war.

Einem Bericht des Calgary Herald zufolge soll das städtische Olympia-Komitee nach gescheiterten Verhandlungen über die Finanzierung der Spiele noch am Dienstag zum Rückzug aufgefordert werden. „Es gab einen letzten Versuch, die Bewerbung zu retten. Aber es ist vorbei“, sagte ein hoher Kommunalbeamter dem Herald zu den Gesprächen über die Verteilung der Kosten für die öffentliche Hand in Höhe von umgerechnet zwei Milliarden Euro. Die für den 13. November geplante Bürgerbefragung, ohnehin eine weitere gewaltige Hürde, soll nicht mehr stattfinden. Das letzte Wort hat nun der Stadtrat, der am Mittwoch zusammenkommt.

„Das IOC fängt an nachzudenken, ob man nicht das Tabu bricht.“

Beim IOC müssen sich Präsident Thomas Bach und Co. damit mehr denn je einem Horrorszenario stellen: dass im kommenden Jahr, wenn im September vor der eigenen Haustür in Lausanne der Gastgeber gekürt werden soll, kein Bewerber zur Verfügung steht.

Denn auch hinter Stockholms Bewerbung stehen gewaltige Fragezeichen, seit der neue Stadtrat der schwedischen Hauptstadt Anfang Oktober der Bewerbung eine Absage erteilt hat. Die Kampagne ist nur deshalb noch nicht beerdigt, weil das schwedische Olympia-Komitee das Votum in Manier eines bockigen Kindes ignoriert und einfach weitermacht.

Es bliebe Mailand, das sich zusammen mit Cortina d’Ampezzo bewirbt. Die Italiener stecken nach heftigen Geburtswehen – Turin verabschiedete sich nach endlosen Streitereien aus der gemeinsamen Bewerbung – noch in einer ganz frühen Planungsphase. Finanzgarantien des volatilen Regierungsbündnisses in Rom gibt es nicht.

Immerhin: Ein Bürgervotum oder nennenswerter Widerstand von Olympiagegnern ist bislang nicht in Sicht. Bei den IOC-Granden dürften derlei demokratische Mechanismen mittlerweile Albträume hervorrufen. In den vergangenen fünf Jahren gingen mehr als ein Dutzend Olympiabewerbungen daran zu Bruch. Ist es tatsächlich möglich, dass die vollkommen deplatzierten Spiele in Peking 2022 nach dem Dopingfestival von Sotschi 2014 und dem wenig stimmungsvollen Event in Pyeongchang 2018 die letzten Winterspiele der Geschichte sein werden?

Der Sportökonom und Olympiaexperte Wolfgang Maennig glaubt, dass IOC-Boss Thomas Bach einen Notfallplan in der Schublade hat. „Ich bin mir sicher, dass im Hintergrund längst Gespräche laufen“, sagte Maennig: „Ich frage mich zum Beispiel: Wo bleibt Almaty? Vielleicht ist das das Ass im Ärmel?“ Die kasachische Stadt war vor drei Jahren denkbar knapp an Peking gescheitert.

Unabhängig von der Frage eines Gastgebers für 2026 sieht Maennig das IOC in der Pflicht, weitere Reformen anzustoßen, um die Winterspiele langfristig zu sichern. „Das IOC hat das Problem verstanden und wird immer mehr selbst zum Berater, es wird vermehrt von sich aus auf Bewerber zugehen.“ Nächste Schritte würden folgen „und angesichts der Situation auch folgen müssen“, sagte Maennig, der die oft ausufernden Kosten für Infrastruktur-Projekte als Hauptproblem sieht (das operative Budget für 2026 wird das IOC mit 925 Millionen Dollar unterstützen). „Das IOC fängt an nachzudenken, ob man nicht das Tabu bricht und sich auch an Infrastrukturkosten beteiligt“, meint er: „Das wird so kommen.“ (sid)