Die Ruhe vor dem WM-Matchball

Der Sieg beim Großen Preis von Brasilien wäre für Nico Rosberg gleichbedeutend mit dem ersehnten Gewinn der Formel-1-Weltmeisterschaft. In der Vorbereitung setzt der Deutsche auf die Devise „keine Experimente“. | afp

Vor dem bislang wichtigsten Rennen seiner Formel-1-Karriere gibt sich Nico Rosberg tiefenentspannt. Der Wahl-Monegasse postete in den sozialen Netzwerken Fotos vom ausgelassenen Spielen mit Hund Bailey in seiner Küche, ließ sich beim Cruisen auf einem lindgrünen Motorroller durch eine Wiesenlandschaft ablichten und sendete Selfie-Grüße vom Training mit seinem Physio. Als wollte er sagen: Leute, alles ist normal!

19 Punkte Vorsprung lassen Rosberg auch die Tür für eine Entscheidung beim Saisonfinale in Abu Dhabi offen.

Zumindest auf den Fotos schien die Formel 1 weit weg zu sein für den stillen Familienmenschen Rosberg. Dabei – und das wissen nicht nur seine knapp fünf Millionen Social-Media-Fans – wird sein 205. Rennen kein Grand Prix wie jeder andere. Beim Großen Preis von Brasilien am Sonntag (17 Uhr MEZ hat Rosberg WM-Matchball. Nach elf Saisons in der Formel 1, zwei bitteren WM-Niederlagen in Folge gegen seinen Mercedes-Stallrivalen Lewis Hamilton (England) hat er es nun erstmals allein in der Hand. Die einfache Gleichung lautet: Sieg = Titel.

„Ich werde meine Herangehensweise deswegen nicht verändern“, sagte Rosberg mit Blick auf das Rennen auf dem traditionsreichen Autodrómo José Carlos Pace in Sao Paulo. Dort, wo seit 2005 bereits sechs WM-Entscheidungen gefallen sind, will er „einfach weiterhin das machen, was mir dabei hilft, meine Bestleistung zu bringen.“ Und das, sagte der Sohn von 1982er-Weltmeister Keke Rosberg, bedeute nicht anderes, als „auf Sieg zu fahren“.

Es sind Worte, wie man sie von Rosberg seit dem Saisonauftakt im März in Australien nicht anders gewohnt ist. Gelingt ihm nach den Erfolgen von 2014 und 2015 wirklich der Brasilien-Hattrick, ist er unabhängig vom Abschneiden Hamiltons der dritte deutsche Weltmeister nach Rekordchampion Michael Schumacher (7 Titel) und Sebastian Vettel (4).

Im Extremfall würde aber selbst ein sechster Rang für die vorzeitige Krönung im vorletzten Saisonrennen genügen. Dann allerdings dürfte Hamilton, der bei den letzten Stationen in den USA und Mexiko „einfach ein bisschen schneller“ gewesen sei, wie Rosberg einräumte, nicht über Rang zehn hinauskommen.

Seine 19 Punkte Vorsprung lassen Rosberg aber auch die Tür für eine Entscheidung beim Saisonfinale in Abu Dhabi (23. November) offen. Selbst wenn Hamilton auch die letzten beiden Läufe gewänne, würde Rosberg mit einem zweiten und dritten Platz noch zwei Zähler Vorsprung retten. Und: Selbst bei einer Nullrunde in Brasilien könnte Rosberg seinen Dauerrivalen mit 25 Punkten in der Wüste noch aus eigener Kraft in die Schranken weisen.

Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff sieht die deutlich besseren Karten im Titelkampf beim 31-jährigen Deutschen. „Ich denke, dass diese neue Situation mental ein bisschen einfacher ist“, sagte der Österreicher: „Für Nico ist das Gerede vorbei, dass er nur Zweiter werden muss, um es zu schaffen. Er hat es selbst in der Hand. Das ist eine faszinierende Situation.“ Doch obwohl Rosberg die nötige Klasse besitzt und der Mercedes W07 Hybrid die Pace hat, um die notwendigen Ergebnisse einzufahren, bleiben Zweifel. Was, wenn die Red Bull noch näher dran sind als in Mexiko und sich zwischen Hamilton und ihn schieben? Rosberg weiß, dass in der Formel 1 „alles passieren kann.“ Deshalb konzentriere er sich nur auf Dinge, „die ich beeinflussen kann.“ (sid)