2:1-Sieg gegen Brasilien: De Bruyne schießt das ganze Land ins Glück



„Unglaublich, unglaublich“, jubelte Belgiens Trainer Roberto Martinez: „Das ist etwas ganz Besonderes, diese Jungs verdienen es, in der Heimat als etwas ganz Besonderes gefeiert zu werden.“ Belgien mit seiner kaum zu stoppenden Offensivtroika Kevin De Bruyne, Romelu Lukaku und Eden Hazard schoss sich vor 42.873 Zuschauern in die Rolle des Top-Favoriten. „Entscheidend waren die acht defensiven Leute, so konnten wir drei vorne wirbeln“, sagte De Bruyne: „Die erste Halbzeit war nahezu perfekt.“

In den ersten Spielminuten war den Mannschaften der gegenseitige Respekt voreinander deutlich anzumerken. Niemand wollte sich aus der Reserve locken lassen; hüben wie drüben bauten die Akteure auf eine sattelfeste Defensivreihe.

Die erste richtige Gelegenheit hatte Brasilien in der achten Spielminute, und was für eine. Ecke Neymar, der das Leder gekonnt vor das Gehäuse von Courtois zirkelte. Doch da weder Alderweireld noch Fellaini am kurzen Pfosten klären konnten, landete der Ball bei Thiago Silva. Der 33-Jährige war so überrascht, dass er nur noch spontan sein Knie hinhielt und somit kein Druck hinter den Ball bekam, der daraufhin ans Aluminium klatschte. Die Roten Teufel hatten in dieser Szene unheimlich viel Glück, denn das hätte das 1:0 für die Selecao sein können.

Zwei Minuten später brannte es wieder lichterloh im Sechzehner der Belgier, und wieder sorgte eine Ecke für Gefahr. Diesmal flankte Willian von rechts flach an das Fünfereck. Dort kam aber weder ein Roter noch ein Gelber an das Leder heran, sodass Paulinho aus zentralen neun Metern direkt abnehmen konnte. Der Mittelfeldspieler traf die Kugel jedoch nicht richtig, sodass am Ende Vertonghen klären konnte. Das „Ufffffff“ in Ostbelgien war deutlich zu hören.

Die Duftmarken der Brasilianer, die deutlich bis nach Ostbelgien zu riechen waren, sorgten aber für einen Hallo-Wach-Effekt im Team von Roberto Martinez. Es beschränkte sich nicht nur auf verteidigen, sondern setzte immer wieder zu messerscharfen Kontern an. Ein solcher brachte in der 13. Spielminute eine Ecke ein, die sich gewaschen hatte. Chadli schnibbelte Belgiens ersten Eckstoß vor den ersten Pfosten. Dort sprang Kompany hoch, verlängerte das Spielgerät an Fernandinhos rechten Arm und von dort überquerte es aus drei Metern Entfernung die Linie; 1:0. Torhüter Alisson war völlig machtlos. Wissenswert: Fernandinhos Eigentor war erst das zweite von Brasilien während einer WM nach jenem von Marcelo 2014 gegen Kroatien.

Die Roten Teufel hatten sich mit ihrer ersten ernsthaften Aktion im gegnerischen Strafraum den ersten Vorteil des Abends gesichert. Richtig geschockt wirkten die Brasilianer allerdings nicht; sie drängten auf den Ausgleich – Gabriel Jesus (15.), Marcelo (27.) oder Neymar (31.). Doch die Angriffsbemühungen waren ohne Erfolg. Anderes sah es bei den Belgiern aus, die hinten relativ solide standen und durch das recht riskante Attackieren der Selecao weiter munter zu Kontern ansetzten. Allen voran Lukaku büffelte durch die gegnerische Hälfte. Was für eine Maschine, die in der 31. Spielminute De Bruyne mit einem messerscharfen Pass in Szene setzte. Der ManCity-Profi zog zum Tor, schaute kurz und packte aus 18 Metern ein Vollspannstoß aus, der so schön wie ein Sonnenuntergang in der Eifel war, und genauso trocken im Kasten von Alisson einschlug. Was ein Treffer zum 2:0, mit dem es in die Halbzeit ging.

Mit dem Wiederanpfiff machte die Selecao weiter Dampf

Zugegeben: Hinsichtlich der Spielanteile waren die Roten Teufel zu diesem Zeitpunkt keine zwei Treffer besser, doch sie haben sich diesen Vorteil durch eine effiziente Chancenverwertung erarbeitet. Aus Sicht der Südamerikaner, die zudem erstmal in diesem Turnier große defensive Probleme offenbarten, wäre ein Anschlusstreffer vor dem Kabinengang enorm wichtig gewesen, aber die Belgier konnten ihren 2:0-Vorsprung in die Pause retten: Auch weil sie durch längere Phasen des Ballbesitzes das Spielgeschehen kontrollieren konnten – und weil Belgien bis dato besser gekontert hat als ein erfahrener Trinker am Samstagmorgen.

Brasiliens Nationaltrainer Tite reagierte auf die Ereignisse des ersten Abschnitts mit einer personellen Änderung: Mit Beginn der zweiten 45 Minuten nahm er Willian herunter und schickte mit Roberto Firmino einen zweiten echten Angreifer ins Rennen. Roberto Martinez verzichtete zunächst auf Umstellungen.

Mit dem Wiederanpfiff machte die Selecao weiter Dampf. Bis zur 60. Minute konnte Belgien sich kaum noch befreien und verschaffte seinen Verteidigern nur noch ganz selten Verschnaufpausen. Die Roten Teufel hatten in der Druckphase auch eine knappe Elfmetersituation ohne Pfiff überstanden, nachdem der Referee infolge einer Kompany-Grätsche gegen Gabriel Jesus Kontakt zum Video-Assistenten aufgenommen hatte. Die Frage lautete: „Wie lange hält das Glück noch an?“

Eine Antwort hatte Hazard parat bzw. auf dem Fuß (63.). Chadli gewann die Kugel auf der linken Abwehrseite und spielte auf Höhe der Mittellinie zu De Bruyne weiter. Der verteilte nach zehn Metern auf halblinks zu Hazard, der vom linken Strafraumeck abzog. Der Chelsea-Akteur verfehlte die rechte Torstange nur knapp. In der Folge gelang es der Martinez-Truppe, den Schwerpunkt des Geschehens in Richtung Mittelfeld zu verschieben; die erste Druckphase der Brasilianer war schadlos überstanden. Es war jedoch klar: Die Selecao werde sich nicht geschlagen geben.

Und das tat sie auch nicht und wurde in der 77. mit dem Anschlusstreffer belohnt. Ein Super-Lupfer von Coutinho – und dann schraubte sich Renato Augusto – wurde drei Minuten und 14 Sekunden vorher eingewechselt – zum Kopfball hoch und schaffte es, Courtois zu überwinden. Es wurde plötzlich wieder extrem spannend! Nur vier Minuten später dürfte einigen Ostbelgiern das Herz in die Hose gerutscht sein, denn Renato Augusto vergab aus bester Lage – das hätte der Ausgleich sein müssen. Der Offensivsspieler wurde unweit der zentralen Strafraumkante von Coutinho bedient und konnte aus 17 Metern völlig freistehend abschließen.

Brasilien drückte anschließend aufs Tempo, hatte weitere Gelegenheiten, doch die Belgier brachten den Vorsprung über die Zeit. Damit stehen die Roten Teufel zum zweiten Mal nach 1986 in einem WM-Halbfinale und kann am Dienstag, 10 Juli. (20 Uhr) gegen Nachbar Frankreich erstmals den Sprung ins Endspiel schaffen.

Gegen Kylian Mbappe und Co. dürfen sich die Zuschauer auf ein weiteres großes Schauspiel freuen.