1860 München und der Hang zum Chaos

Die „Löwen“ waren – im Gegensatz zum FC Bayern – Gründungsmitglied der Fußball-Bundesliga und wurden 1966 sogar deutscher Meister. Das ist freilich ein halbes Jahrhundert her. Es gab damals keine Abstiegs-Relegation, keine glitzernde Arena im Münchner Norden und keine Scheichs im europäischen Fußballs. Also nichts, was den TSV in dieser Woche in bislang einmalige Turbulenzen stürzte. Ein Verein mit dem Hang zum Chaos war 1860 München freilich schon immer.

Den Verein scheint ein ganz spezielles Talent auszuzeichnen, sich immer selbst im Weg zu stehen.

Die Anzahl an Erfolgen des Vereins aus dem Stadtteil Giesing wird in der langen 1860-Historie von Pleiten mehr als aufgewogen, bejubelte Trainer wurden in schöner Regelmäßigkeit von Verlierern abgelöst. Den Verein scheint ein ganz spezielles Talent auszuzeichnen, sich immer selbst im Weg zu stehen. Dabei ist die Episode mit Franz Beckenbauer eher noch ulkig denn dramatisch: 1958 bekam der spätere „Kaiser“ in einem Jugendspiel auf dem Feld von einem Sechziger-Buben eine Ohrfeige, wechselte daraufhin beleidigt nicht wie geplant zu den „Löwen“, sondern zum FC Bayern. Der Rest ist Geschichte.

Lange vor dem unberechenbaren und mit Fußball-Ahnung nur rudimentär ausgestatteten Investor Hasan Ismaik hatten sich bei 1860 etliche Geschäftsleute versucht und waren spektakulär gescheitert. Der ehemalige Bundestags-Abgeordnete Erich Riedl etwa verhob sich als TSV-Präsident Anfang der 80er Jahre dermaßen bei den Finanzen, dass der Deutsche Fußball-Bund dem damaligen Zweitligisten die Lizenz entzog. In der drittklassigen Bayernliga versuchte sich kurz darauf der Bauunternehmer Karl Heckl, steckte viel privates Geld in den ambitionierten Verein, fand aber auch kein Glück und verabschiedete sich ohne Vorwarnung von Sechzig mit dem Satz: „Ich bin der Einzige, der beim TSV 1860 Millionär wurde. Vorher war ich Milliardär.“

Jetzt steckt Sechzig mal wieder in der Bredouille, der Absturz in die 4. Liga droht.

In jenen Jahren hatte der TSV die längste Durststrecke fernab der zwei höchsten Ligen zu überstehen. Im Selbstverständnis von Anhängern und Vereinsbossen gehörte der Verein freilich dahin, wo er in den 60er Jahren war: 1963 war er Teil der ersten Bundesliga-Saison, 1964 DFB-Pokalsieger, 1965 Finalist im Europapokal der Pokalsieger und 1966 schließlich zum ersten und bislang einzigen Mal Meister.

Damals waren Spieler wie Torwart Petar Radenkovic – der nebenbei als Schlagersänger („Bin i Radi, bin i König“) reüssierte – oder Trainer Max Merkel die Helden auf Giesings Höhen. Ähnlich kauzig wie Merkel schaffte es in den 90er Jahren dann Werner Lorant an der Seitenlinie, die Münchner zum Erfolg zu trainieren und sogar von einem Angriff auf die Vormachtstellung des Lokalrivalen FC Bayern träumen zu lassen.

Weil Lorant aber ausgerechnet mit Karl-Heinz Wildmoser als Präsident ein Duo bildete, folgte irgendwann der Niedergang. Der Großgastronom wollte weg vom Image des kleinen, lokal verwurzelten Stadtvereins, wollte Europacup-Abende und ein großes, neues Stadion. Die Allianz mit dem FC Bayern beim Arena-Bau verziehen ihm die Fans nicht, und all die Pessimisten sollten Recht behalten. Für 1860 war das Projekt viel zu kostspielig, nach dem Zweitliga-Abstieg mussten die Anteile am Stadion an die Bayern verkauft werden. Seitdem ist der TSV nur noch Mieter, und wäre ohne Ismaik schon 2011 insolvent gegangen.

Jetzt steckt Sechzig mal wieder in der Bredouille, der Absturz in die 4. Liga droht. Das wäre tatsächlich ein ganz neuer Tiefpunkt – und ein weiteres Kapitel der wechselvollen Geschichte von 1860 München. (dpa)