Das Reus-Comeback: „Doppelt und dreifach schön“

Marco Reus: „So stellt man sich eine Rückkehr doch vor.“Foto: dpa | 4



Tief in dieser denkwürdigen Nacht trug Marco Reus sein Schaustück für die Vitrine in einer schlichten BVB-Tüte. Der Held eines historischen Torfestivals hatte nach seinem Traum-Comeback nur bei der Dopingprobe größere Abschlussprobleme – erst um kurz vor ein Uhr schlurfte er sichtlich geschafft, aber überglücklich zu einer schicken Limousine und ließ sich heimfahren. Mit einem besonderen Souvenir auf dem Schoß: „Auf dem Spielball lasse ich noch alle Jungs unterschreiben, dann bekommt er einen Ehrenplatz.“

Das 8:4 gegen eine heillos überforderte Mannschaft von Legia Warschau hätte sich der Nationalspieler von Borussia Dortmund nicht besser ausmalen können. Zwei Tore selbst erzielt, zwei vorbereitet – und das nach 185-tägiger Leidenszeit, nach Rückschlägen über Rückschlägen. Sein drittes Tor in der Nachspielzeit wurde von der UEFA als Eigentor von Jakub Rzezniczak gewertet. Egal. „So stellt man sich eine Rückkehr doch vor“, sagte Reus und lächelte, dazu zwinkerte er mit dem linken Auge. „Das war doppelt und dreifach schön.“

Wie stümperhaft offen verteidigt wurde, ging allen auf die Nerven.

Die Bühne war perfekt bereitet. Ein vogelwildes, ohnehin nicht allzu bedeutsames Champions-League-Spiel mit dem Charakter eines Sonntagskicks auf Tore aus zerknüddelten Jacken im Park, wie ein Kindergeburtstag auf der Kirmes mit unendlich vielen Süßigkeiten. Es war das torreichste Spiel in der Geschichte der Königsklasse.

Ohne Verteidigung, ohne überharte Zweikämpfe, ohne im Tiefflug heranrauschende Gegenspieler. Wie erfunden als Aufbauprogramm für den Zocker Reus, der dreimal nur den Ball ins Tor schieben musste. „Außergewöhnlich, fantastisch, überragend“ habe der 27-Jährige das gemacht, schwärmte sein Trainer Thomas Tuchel, der Reus durchspielen ließ. „Ich habe mich ja nicht totgequält“, sagte der gelassen. Beide wussten, dass für den Rekonvaleszenten andere, weit höhere Aufgaben folgen werden. Erst, wenn es bei Eintracht Frankfurt auf die Knochen gibt, wenn es bei Real Madrid um den Gruppensieg geht, wird sich zeigen, wie robust Reus ist. „Ich fühle mich hundert Prozent stabil. Bis ich hundert Prozent fit bin, wird es dauern“, sagte er und nannte Weihnachten als möglichen Zeitpunkt. An eine normale Nachtruhe auf den 23. November jedenfalls war nicht zu denken. „Ich bin platt“, sagte Reus, „aber ich finde schon eine ruhige Minute, dann fallen auch die Äuglein zu.“ Die Augen öffnen sollte der BVB bei der Analyse der Defensivarbeit. Wie stümperhaft offen verteidigt wurde, ging allen auf die Nerven. Es ermöglichte erst das Rekordergebnis.

„Das geht gar nicht“, lautete die einhellige Einsicht. Besonders angefressen war Roman Weidenfeller, der den verletzten Roman Bürki auch in den kommenden Wochen vertreten wird. Sein Fazit: „Als Torwart war es bescheiden.“

Tuchel nannte das gesamte Spiel „surreal“. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, berichtete er kopfschüttelnd. Der Trainer hatte eigentlich den kompromisslosen Griechen Sokratis in die Innenverteidigung stellen wollen, doch auf dem Weg Richtung Spielberichtsbogen ging das irgendwie verloren. Plötzlich stand Marc Bartra in der Aufstellung: „Ein interner Übermittlungsfehler.“ Peinlich war der zwar, aber nicht folgenschwer. Bei Real Madrid am 7. Dezember sollte sich die Panne aber nicht wiederholen. Ein Punkt reicht dann zum Sieg in der Gruppe F. (sid)