Sunday Oliseh: „Trainer in Köln? Könnte ich mir eines Tages vorstellen“



Dienstagmittag, 12.30 Uhr. Sunday Oliseh hat es eilig. Der ehemalige Profifußballer schiebt das GrenzEcho zwischen einen seiner vielen Termine. Der 43-Jährige ist in der Fußballwelt ein gefragter Mann. Er ist TV-Experte, Berater, FIFA-Mitarbeiter und bis zuletzt noch Trainer bei Fortuna Sittard, wo er im Zwist mit dem Präsidenten seines Amtes enthoben wurde. Bevor er wieder auf die Autobahn entschwindet, berichtet Oliseh noch von seinem Leben – das ihn vor 28 Jahren nach Belgien führte.

Herr Oliseh, wir schreiben das Jahr 1990. Die Welt befand sich im Umbruch, der internationale Fußball allerdings noch nicht. Der große Schritt nach Europa war weniger denkbar als heute. Wie kam es dennoch dazu, dass Sie als 15-Jähriger aus Nigeria ausgerechnet beim FC Lüttich landeten?

Das war ganz einfach. Ich war damals Schüler und spielte bei Julius Berger FC, einem Verein, der von einer deutschen Baufirma gegründet wurde. Eines Tages kam ein Spielerberater vorsprechen, der auf mich aufmerksam geworden war und mir ein Angebot machte. Sie müssen wissen: Ich träumte in dieser Zeit von Europa. Dann ging alles sehr schnell.

An der Maas sollten Sie vier Jahre lang bleiben und 75 Spiele bestreiten. Dann ging es für Sie zum 1. FC Köln. Privat ließen Sie sich aber in Baelen nieder. Wieso?

Das war eher Zufall. Als ich bei den Kölnern unterschrieben hatte, suchte ich wegen meiner belgischen Frau (sie kommt aus der Nähe von Lüttich, A. d. R.) ein Zuhause, dass in Belgien liegt, aber nicht so weit vom FC entfernt ist. Also in der Grenzregion. Das erschien uns als Familie am vernünftigsten. Nachdem ich lange in Eupen gesucht, aber nichts Geeignetes gefunden hatte, wurde ich schließlich in Baelen fündig.

Was gefällt Ihnen an der Region?

Ich liebe sie. Die Ruhe hier ist einmalig. Und die Leute hier behandeln mich wie einen ganz normalen Menschen. Unser Leben findet hier statt, und das seit 21 Jahren. Die Kinder sind hier aufgewachsen, zur Schule gegangen und haben ihre Freunde hier. Aachen ist ein Katzensprung entfernt. Wenn ich nach Köln oder Düsseldorf muss, brauche ich mich nur eine Stunde ins Auto zu setzen. Amsterdam ist zweieinhalb und Paris drei Stunden entfernt. Alles ist perfekt.

In dieser Zeit haben Sie eine klasse Karriere hingelegt. Sie spielten neben Lüttich und Köln unter anderem auch für Ajax Amsterdam, Borussia Dortmund und Juventus Turin. Gleichzeitig haben Sie mit der Nationalmannschaft großartige Erfolge gefeiert. Welches Spiel ist Ihnen in Ihrer langen Karriere als Spieler besonders im Gedächtnis geblieben?

Eine gute Frage. Das war wohl ein Spiel bei der Fußball-WM 1998 in Frankreich. Wir trafen mit Nigeria zum Auftakt auf die favorisierten Spanier. Wir hatten Angst, gleich das erste Gruppenspiel zu verlieren. Am Ende setzten wir uns mit 3:2 durch, und mir gelang zwölf Minuten vor dem Schluss der Siegtreffer (mit einem sehenswerten Halbvolley, A. d. R.). Das war unglaublich. Eine Begegnung mit vielen Emotionen.

Der größte Erfolg war für Sie wahrscheinlich die Goldmedaille bei den Olympischen Sommerspielen 1996 in Atlanta, USA, als Sie mit Nigeria im Finale Argentinien mit 3:2 bezwangen? Oder würden Sie doch zur Deutschen Meisterschaft 2002 mit dem BVB tendieren?

Die Meisterschale mit Dortmund zu holen, war natürlich großartig. Es ist aber noch einmal eine andere Hausnummer, wenn du einen Titel mit der Nationalmannschaft gewinnst – bei einem Turnier, das so eine internationale Ausstrahlung hat. Und das ausgerechnet noch als Underdog.

Verfolgen Sie die Bundesliga noch?

Auf jeden Fall.

Tut es Ihnen dann weh, wenn Sie sehen, wie Ihr Ex-Klub, der 1.FC Köln, dem wohl unvermeidlichen Abstieg immer näherkommt?

Ja, durchaus. Das ist traurig. Aber ich denke, dass der FC zurückkehren wird.

Marcus Anfang soll das Ruder herumreißen. Trauen Sie ihm den direkten Wiederaufstieg zu?

Ich weiß es nicht. Ich denke aber, dass der FC ein sehr interessanter Verein ist zum Trainieren. Auch ich könnte mir das eines Tages vorstellen.

Welcher Verein aus der Bundesliga könnte es denn noch sein?

Jeder Klub ist interessant. Immerhin zählt die 1. Bundesliga zu den besten Ligen der Welt. Aber wissen Sie was?

Was denn?

Trainer einer Nationalmannschaft zu sein, das ist absolut nicht mein Ding. Bei Nigeria habe ich es gemacht, weil es mein Heimatland ist. Das hat auch Spaß gemacht. Ich möchte aber vielmehr Klubtrainer sein und jeden Tag eine Mannschaft betreuen.

Sie haben jetzt mehrere Stationen als Trainer hinter sich. Sie waren beim CS Verviers aktiv, wurden sogar Nationaltrainer ihres Heimatlandes und heuerten anschließend recht erfolgreich bei Fortuna Sittard an. Bei den zwei letztgenannten Klubs gingen Sie im Unfrieden. Was war passiert?

Nein, in Nigeria war ich einfach oft krank. Am Ende bin ich gegangen, weil meine Gesundheit Vorrang hatte.

Und in Sittard, wo Sie Mitte Februar entlassen wurden

Das ist einfach nur supertraurig gelaufen. Wir hatten wirklich eine gute Arbeit abgeliefert. Wir sind vom 19. auf den ersten Platz marschiert und wären fast Meister (der 2.Liga, A. d. R.) geworden. Eigentlich lief alles super. Aber mit dem Besitzer konnten mein Trainerteam und ich nicht zusammenarbeiten. Das war zu schwierig, fast unmöglich. Mein Co-Trainer (Alexander Voigt, ehemals auch Profi beim 1. FC Köln, A. d. R.) ist fast verrückt geworden.

Gefällt Ihnen der Job dennoch? Und haben Sie schon neue Angebote erhalten?

Ja, aber die Klubs befinden sich zu weit weg. Noch letzte Woche erhielt ich zwei Angebote von Vereinen, die drei bis vier Flugstunden von Düsseldorf entfernt sind. Das ist zu weit.

Wieso?

Weil mir die Familie am wichtigsten ist und wir hier nicht wegziehen wollen.

Sie wünschen sich also einen Verein in der Nähe, sodass Sie hier in der Region bleiben können.

Das wäre die beste Lösung, ja. Ich könnte mich aber auch damit arrangieren, wenn ich zwei bis drei Mal in der Woche nach Hause reisen kann.

Bei der Auswahl der Klubs kommt Ihnen sicherlich gelegen, dass Sie fünf Sprachen sprechen sollen.

Es sind sieben. Ich spreche Französisch, Deutsch, Englisch, Italienisch, ein wenig Niederländisch und zwei einheimische Regionalsprachen Nigerias.

Der legendäre Trainer Morten Olsen, der in der Nähe von Brüssel lebt und einst in Raeren wohnte, schwört große Stücke auf Sie. Ist er Ihnen ein Vorbild?

Er war ein großer Trainer und ist ein super Mensch. Ich habe viel von Morten Olsen lernen können – sowohl in fußballerischer als auch in menschlicher Hinsicht.

Ähnelt sein Trainerstil auch Ihrem?

Nein, ich wurde von vielen Trainern in Deutschland, Italien und den Niederlanden begleitet und vereine deshalb für meine Arbeit die Sachen, die mir wichtig erscheinen.

Wie blicken Sie auf die Zeit bei der AS Eupen zurück, als Sie 2006 für einige Monate Sportdirektor waren?

Das war okay. Ich bin gegangen, weil ich meinen Trainerschein machen musste.

Besuchen Sie ab und zu noch das Eupener Kehrwegstadion?

Ab und zu. In dieser Saison habe ich das Spiel gegen Ostende gesehen. Sonst hatte ich keine Zeit.

 

Könnten Sie sich auch vorstellen, einmal die AS Eupen zu trainieren?

(lächelt) Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Wer weiß, wohin mein Weg mich führt.

Ist Ihnen der Spieler Henry Onyekuru eigentlich ein Begriff?

Ein bisschen, ja. Er ist ein guter Fußballer.

Sie haben an zwei Weltmeisterschaften (1994 in den USA, 1998 in Frankreich, A. d. R.) teilgenommen und waren selbst Nationaltrainer Nigerias. Würden Sie Henry als Trainer im Sommer mit nach Russland nehmen?

Das ist kompliziert. Es gibt so viele gute Fußballer in Nigeria. Als Beispiel: Wenn du zwei oder drei Jahre lang Stammspieler in der nigerianischen Nationalmannschaft bist, dann ist das schon viel.

Kommen wir zu den Roten Teufeln: Gelingt der Goldenen Generation bei der WM der große Wurf?

Das hat man ja schon bei der letzten WM in Brasilien und der EM in Frankreich behauptet. Ich denke nicht – auch wenn es als Trainer ein Traum wäre, so eine Mannschaft mit so vielen Stars zu trainieren.

Welcher Spieler ist Ihnen bei den Teufeln besonders aufgefallen?

Kevin De Bruyne. Der Junge ist für mich aktuell vielleicht der beste Mittelfeldspieler der Welt und seit zehn Jahren der beste belgische Fußballspieler. Seine Laufwege, seine Assists, seine Tore, seine Tempoänderungen, sein Spielverständnis. Ich glaube, dass es eine Freude ist, mit ihm zusammenzuspielen oder ihn zu trainieren.

Wer hat Chancen auf den Weltmeistertitel?

Ich denke da natürlich an Deutschland, die man immer zu den Favoriten zählen muss. Dann gefällt mir das Team von Brasilien gut, weil es sich nicht mehr nur auf das schöne Spiel konzentriert, sondern sich auch in taktischer Hinsicht verbessert hat. Hinzu kommen Spanien, sicherlich Frankreich, die ich gegen Deutschland beobachten durfte und die in der Offensive megastark sind, und hoffentlich auch Nigeria.

Sie sind für die FIFA tätig. Was genau ist Ihre Aufgabe?

Ich bin Mitglied der Technischen Studien-Gruppe, die sich um die Zukunft des Fußballs Gedanken macht. Die Aufgaben der TSG bestehen in der Spiel- und Trainingsbeobachtung der Mannschaften bei internationalen Turnieren. Die hier gewonnenen Erkenntnisse werden diskutiert, ausgewertet und sollen zur Diskussion und zum Gedankenaustausch anregen. So beschäftigten wir uns bei der letzten WM mit dem Schiedsrichter-Spray.

Sie waren in dieser Aufgabe bei der WM in Brasilien aktiv. Sind Sie auch in Russland vor Ort?

Nein, weil ich bis zuletzt ja bei Fortuna Sittard Trainer war. Ich werde die Spiele von zu Hause aus sehen. Das ist mir dieses Mal auch lieber. Selbst Angebote als Fernsehexperte habe ich abgelehnt.

Als FIFA-Experte: Wie stehen Sie zum Einsatz des Videoschiedsrichters, der nicht nur in Deutschland und Belgien in den Ligen für einigen Gesprächsstoff gesorgt hat und noch immer sorgt?

Ich finde den VAR sehr gut. Vielleicht müssten die Entscheidungen viel schneller fallen. Sie müssen es aber auch so sehen: Von demjenigen Klub, der durch den Einsatz dieser Technik benachteiligt wird, wird der Videoschiedsrichter immer schlecht geredet. Aber sehen Sie es mal so: Das Wembley-Tor 1966 hätte mit dem Videoschiedsrichter keine Diskussionen hervorgerufen.

Das Leben von Sunday Oliseh: Mit 15 nach Europa, mit 40 Nationaltrainer Nigerias

  • Sunday Oliseh wurde am 14.September 1974 in Abavo (Nigeria) geboren. Mit 15 Jahren unterschrieb er beim FC Lüttich seinen ersten Vertrag, wo damals Robert Waseige und Eric Gerets zu seinen Förderern gehörten.
  • 1994 wechselte er nach Italien zu Reggina Calcio. Unter Trainer Morten Olsen wurde er anschließend Leistungsträger beim 1. FC Köln. Der ehemalige dänische Nationaltrainer, der stets große Stücke auf Oliseh hielt, holte ihn 1997 auch zu Ajax Amsterdam in die niederländische Ehrendivision, wo er 1998 das Double und 1999 den Pokalsieg feierte.
  • 2000 unterschrieb der Mittelfeldspieler, der für Nigeria 62 Länderspiele bestritt, beim italienischen Rekordmeister Juventus Turin. Von dort kehrte er aber nach nur einem Jahr zu Borussia Dortmund in die Bundesliga zurück, wo er 2002 Deutscher Meister wurde.
  • Nach mehreren schweren Verletzungen landete er schließlich beim VfL Bochum. Nach einer weiteren Saison in Dortmund wechselte Oliseh 2005 zum KRC Genk, wo er im Januar 2006 seine Karriere abrupt beendete, nachdem er nur ein Spiel absolviert hatte.
  • Der ehemalige Kapitän der nigerianischen Nationalmannschaft (54 Einsätze, zwei Tore) nahm an den Weltmeisterschaften 1994 und 1998 teil. Sein schönstes Souvenir ist der 3:2-Sieg 1998 gegen Spanien. Oliseh ließ in der 78. Minute einen raffinierten Halbvolley aus gut 23 Metern los, der zum 3:2-Endstand einschlug.
  • 1996 gewann er mit Nigeria in Atlanta die olympische Goldmedaille. Zwei Jahre zuvor triumphierte er mit den „Super Eagles“ beim Afrika-Cup.
  • Seit 1995 wohnt Oliseh mit seiner Familie in Baelen.
  • Von Juli 2015 bis Ende Februar 2016 trainierte Sunday Oliseh die Nationalmannschaft seines Heimatlandes. Zuvor war er Coach beim CS Verviers und CS Visé.
  • Von Dezember 2016 bis Februar 2018 war der Nigerianer Trainer des niederländischen Zweitligisten Fortuna Sittard. Am Ende kam es zum Eklat, Oliseh wurde entlassen.
  • Seit einigen Jahren arbeitet er in der Technischen Kommission der FIFA, so auch bei bei der WM 2014 in Brasilien.
  • Klubs: FC Lüttich (1990 – 94), AC Reggiana (1994 – 95), 1.FC Köln (1995 – 97), Ajax Amsterdam (1997 – 99), Juventus Turin (1999 – 2000), Borussia Dortmund (2000 – 02), Vfl Bochum (2002 – 04), Borussia Dortmund (2004 – 05), Racing Genk (2005 – 06)
  • Nationalmannschaft: 63 Länderspiele (1993 – 2002)
  • Erfolge: Olympiasieger (1996), niederländischer Meister (1998), niederländischer Pokalsieger (1998, 1999), deutscher Meister (2002), zweimaliger WM-Teilnehmer (1994, 1998)