Große Geheimhaltung vor dem IOC-Urteil: Was wird aus Russland?

Am Dienstag entscheidet das Internationale Olympische Komitee (IOC) über die Teilnahme Russlands an den Winterspielen in Pyeongchang Illustrationsbild: Photo News | 4

Komplett-Ausschluss, Start unter neutraler Flagge, Geldstrafe: Wie hart wird Russland für sein Doping-Vergehen bestraft? Die Sportwelt blickt am Dienstag gebannt nach Lausanne, wenn das Internationale Olympische Komitee (IOC) über die Teilnahme Russlands an den Winterspielen in Pyeongchang entscheidet.

Selten war die Geheimhaltung im Vorfeld so groß. Exekutivmitglieder gingen plötzlich nicht mehr an ihr Handy und wurden abgeschirmt. Am Dienstag sind die mehreren hundert Medienvertreter in Lausanne im Palais de Beaulieu untergebracht, während das 14-köpfige Entscheidungsgremium der Exekutive an einem anderen Ort der Stadt tagt. Erst am Abend kommt IOC-Präsident Thomas Bach zur Verkündung (19.30 Uhr) ins Beaulieu.

Zuvor werden sich die Exekutivmitglieder die Ergebnisse der IOC-Kommission von Samuel Schmid anhören. Der frühere Schweizer Bundesrat hat ermittelt, inwieweit russische Behörden und Polizei am Dopingsystem während Olympia 2014 in Sotschi beteiligt waren.

Inwieweit waren russische Behörden und Polizei am Dopingsystem während Olympia 2014 in Sotschi beteiligt?

Kommt er zu dem Ergebnis, dass es so war – wie es auch WADA-Chefermittler Richard McLaren und Kronzeuge Grigorij Rodtschenkow behauptet hatten – kann es eigentlich keine Alternative zu einem Komplett-Ausschluss Russlands geben. Einen größeren Angriff auf die olympische Bewegung hat es noch nicht gegeben.Doch wenn Schmid keine Beweise für eine Verstrickung des Staatsapparates liefert, fällt es Bach umso leichter, seine Ablehnung gegenüber Kollektivstrafen durchzusetzen. Dann könnte es sein, dass Russlands Athleten doch starten dürfen, wie bei den Sommerspielen 2016 in Rio.

Doch Bach machte klar, dass die aktuellen Untersuchungen im Vergleich zum Sommer 2016 eine neue Qualität erreicht hätten. „Jetzt geht es um die Vorkommnisse bei den Winterspielen in Sotschi 2014. Jetzt geht es darum, was bei Olympischen Spielen passiert ist, in einem Dopinglabor der Olympischen Spiele“, betonte der IOC-Boss.

Sollte die russische Mannschaft nicht gesperrt werden, wäre es denkbar, dass sie unter neutraler Flagge in Pyeongchang starten müsste. Eine Einschränkung, die Präsident Wladimir Putin aber bereits als „Erniedrigung des Landes“ bezeichnet hatte. Es ist gut möglich, dass Russland mit einem Boykott antworten würde. Für McLaren wäre das IOC dann „aus dem Schneider“, da sich Russland „ja selbst freiwillig von den Spielen ausgeschlossen“ hätte.

Der kanadische Jurist McLaren hatte Russland in seinen beiden Berichten ein institutionelles Dopingsystem bescheinigt. In der Zeit von 2011 bis 2015 sollen rund 1000 russische Athleten davon profitiert haben. Erhärtet wurden die Anschuldigungen zuletzt durch eine Datensammlung aus dem Moskauer Kontrolllabor, die Rodtschenkows Aussagen bestätigt haben sollen und deren Echtheit die WADA am Sonntag bestätigte.

Eine weitere Sanktion, die das Riesenreich bei einem Verzicht auf einen Kollektiv-Ausschluss am Dienstag treffen könnte, wäre eine saftige Geldstrafe. Im Raum steht eine Zahlung von 100 Millionen Dollar, die der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) zugute kommen könnte.

Welchen Einfluss die überraschend harten Urteile der Oswald-Kommission haben, ist fraglich. Das Schweizer IOC-Mitglied Denis Oswald hatte die Proben der russischen Athleten untersucht, die in Sotschi manipuliert haben, und in seiner Begründung McLaren und Rodtschenkow gelobt. Das Ergebnis war enorm: 25 russische Sotschi-Fahrer sperrte Oswald bislang lebenslang für Olympia, darunter drei Olympiasieger.

Forderung nach Geldstrafe von 100 Millionen Dollar steht im Raum.

Für den Sportrechtsexperten Michael Lehner kann es daher am Dienstag nur eine Lösung geben: den Gesamtausschluss Russlands von den Spielen in Südkorea. „Wenn der Athlet lebenslang gesperrt wird, dann muss die Schuld des Systems mindestens genauso groß sein“, sagte der Wissenschaftler. (sid)