Zwei Nationen im Herzen: St.Vither Paar reist zur WM nach Russland



Obwohl am Sonntagmittag der Flieger in Richtung russische Riviera abhebt, ist von Aufregung oder gar Stress bei dem Duo aus Ostbelgien nichts zu spüren. Im Gegenteil. „Wir waren in den letzten Wochen so mit anderen Dingen beschäftigt, dass wir uns noch nicht so intensiv mit der Reise befasst haben und daher noch gar nicht wirklich realisieren, dass es bald losgeht“, gesteht David Keller. „Aber aufgeregt sind wir schon“, ergänzt seine Frau. Und das ist auch normal, schließlich geht in Sotschi ein Kindheitstraum in Erfüllung, und der heißt: Fußball-Weltmeisterschaft. „Ich habe schon als kleines Mädchen davon geträumt, irgendwann einmal zu einer WM zu reisen, um mein Land anzufeuern. Damals dachte ich aber, dass es niemals geschehen wird“, erzählt die Panamaerin Jennyleth Gil.

Dass die erste WM-Partie in der Historie ihres Landes nun auch noch ausgerechnet gegen Belgien, ihre neue Heimat, gespielt wird, ist die „absolute Krönung“. „Als das Los gezogen wurde, konnte ich es im ersten Moment gar nicht fassen. Ich wusste sofort, da müssen wir dabei sein“, erzählt die 33-jährige Wirtschaftsprüferin und schiebt hinterher: „Ich habe die gesamte Qualifikation mitgefiebert und habe mich riesig gefreut, als die Jungs es geschafft hatten. Meine ganze Verwandtschaft lebt noch in Panama und ich bin dort auch noch regelmäßig zu Besuch. Deshalb weiß ich, was die Qualifikation für die fußballverrückten Menschen bedeutet.“

Aber auch für David Keller ist die Teilnahme am FIFA-Turnier von Bedeutung, und das obwohl er sich eigentlich kaum für den Sport mit dem runden Leder interessiert: „Fußball verfolge ich nur sehr selten. Außer bei Europa- und Weltmeisterschaften.“ Und warum? „Weil sich in dieser Zeit ein dynamisches Gruppengefühl entwickelt – sei es beim Public Viewing oder beim Rudelgucken zu Hause. Das finde ich einfach genial und reißt mich mit“, erklärt er.

„Genial“ ist auch der Moment gewesen, als das Ehepaar seine Tickets für das Match, das am kommenden Montag, um 17 Uhr (MEZ) angepfiffen wird, zugelost bekommen hat. „Wir haben uns einfach auf gut Glück für die Tickets auf der offiziellen Seite der FIFA beworben. Was wir aber auch mussten, denn das Belgien und Panama bei einer WM aufeinandertreffen, ist wahrscheinlich eine einmalige Angelegenheit, die wir keineswegs verpassen wollten. Als dann einige Tage später die Bestätigung ins Haus flatterte, waren wir einfach überglücklich“, berichtet der 35-jährige Eifeler, der im Restaurant „Zur Alten Schmiede“ in Schönberg, dem Betrieb seiner Mutter, arbeitet.

Überglücklich sind auch die vier Millionen Einwohner von Panama. „Was da abgeht – unglaublich. Das Land ist in meinen Augen jetzt schon Weltmeister“, erzählt Keller, der vor einigen Tagen mit seiner Frau vor Ort war. „Wir haben einfach eine andere Art und Weise, unsere Gefühle auszudrücken“, meint Jennyleth Gil. Mit der Reise zur Endrunde könnten die Panamaer auch den Rest der Menschheit begeistern, denn das Motto des Landes lautet „Für das Wohl der Welt“. Und mit dem Wohl kennen sich die Panamaer aus. Dank der Einnahmen durch den Panamakanal gehört das Land, das 1903 vom Nachbarn Kolumbien unabhängig wurde, zu den reichsten in Lateinamerika. Auch deshalb zählen die Einwohner der Republik Panama, die sich 1989 mit Hilfe der USA Diktator Manuel Noriega vom Hals schafften, zu den glücklichsten Menschen weltweit.

Während in Panama die ganze Nation schon seit Wochen Kopf steht und den Anpfiff zur WM kaum noch erwarten kann, hält sich die Begeisterung hierzulande noch in Grenzen – das meint zumindest David Keller. „Ich muss ehrlich gestehen, dass bei uns das WM-Feeling noch nicht ausgebrochen ist. Natürlich freuen wir uns auf das Turnier, aber im Vergleich zu den Panamaern, die extrem enthusiastisch sind, nehme ich die Stimmung als, eher ‚kühl‘ wahr – zumindest Stand heute.“

Alles andere als kühl wird dagegen das Klima in Sotschi sein: Es ist subtropisch mit langen, heißen Sommern. „Besser geht es doch nicht“, meinen David Keller und Jennyleth Gil. Viel Zeit das Wetter zu genießen bleibt den Eltern eines dreijährigen Sohns aber nicht, denn sie sind „nur“ drei Tage vor Ort, und die sind vollgepackt. „Neben dem Spieltag – ich freue mich tierisch das Olympiastadion zu sehen – wollen wir gerne ein Tag in den Bergen, die nur eine Stunde entfernt liegen, verbringen und einen anderen am Strand“, erklärt Jennyleth Gil, die 2013 der Liebe wegen nach Ostbelgien ausgewandert ist.

Was das Paar mit Freude und Aufregung verbindet, ruft bei vielen Bekannten im ersten Moment Skepsis und Unverständnis hervor. „Wie könnt ihr nur dahin fahren?“ oder „Seid ihr verrückt?“ sind nur zwei Aussagen, die sie zu hören bekamen. Verrückt machen lässt sich das Duo, das sich 2011 an einem Community Collage in Las Vegas kennengelernt hat, dadurch aber nicht. „Ich habe den Eindruck, dass die Medien gegen Putin pushen und ihn kritisch unter die Lupe. Warum? Ja, weil sie es müssen. Aber dadurch wird das Turnier ein wenig ins schlechte Licht gerückt. Doch kurzum: Ich habe keine Angst nach Russland zu reisen. Passieren kann nämlich überall etwas – auch in Belgien“, verdeutlicht Keller. Jennyleth Gil nimmt vor allem Skeptiker, die oft mit der Vorurteils-Keule um sich schlagen, in die Pflicht: „Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch jedem Land die Möglichkeit geben sollte, sich zu präsentieren. Auf dieser Grundlage sollte man anschließend urteilen und nicht schon vorher.“

Apropos urteilen: Wie lauten eigentlich die Tipps für die Partie am Montag? „Ich hoffe auf ein Unentschieden, da mein Herz für Panama und Belgien schlägt“, sagt Jennyleth Gil. Und was schätzt der Mann des Hauses? „Ich glaube, Belgien gewinnt 2:1, auch wenn mir ein Unentschieden lieber wäre, damit würde ich die Familienkrise umgehen“, scherzt David Keller, der übrigens glaubt, dass die Roten Teufel den Titel holen werden.