Wenn eine Schule Ortschaft macht

Seinen Arbeitsplatz und die Kirche im Rücken: Schulleiter Bernd Derichs fühlt sich in Kettenis äußerst wohl. | David Hagemann



Es war in den 1970er Jahren, als er dauerhaft den Weg nach Kettenis fand. Die Aktivitäten im örtlichen Jugendheim hatten den Unterstädter Teenager ans „andere Ende der Stadt“ verschlagen. „In Kettenis war damals richtig Bewegung. Es wurde viel auf die Beine gestellt und manchmal ging es richtig hoch her“, erinnert er sich. Allen voran Pastor Ernst Alard beäugte das Treiben des Nachwuchses damals kritisch. „Wenn ihm unsere Musik zu laut war, drehte er uns einfach den Saft ab“, muss Bernd Derichs schmunzeln. Dieses Aufmüpfige, dieses selbstbewusste Auftreten seiner Altersgenossen gefiel ihm.

„Aus Kettenis wegzuziehen, ist nie eine Option für mich gewesen“, gesteht Bernd Derichs.

„Aus Kettenis noch mal wegzuziehen, das ist nie eine Option für mich gewesen“, sagt er voller Überzeugung. Und wenngleich aus dem jungen Hüpfer von einst längst ein profilierter Dorfschuldirektor geworden ist, so zeichnet sich Kettenis nach wie vor durch eine starke Jugendarbeit aus. Die KLJ ist hierbei Dreh- und Angelpunkt, bietet weit mehr als nur Veranstaltungen für die eigene Anhängerschaft an. Nicht zuletzt durch die jährliche Organisation des Karnevals hat sich die katholische Landjugend einen Namen über die Dorfgrenzen hinaus gemacht. „Davor kann man nur den Hut ziehen“, findet Bernd Derichs.

Ihren Zylinder ziehen indes die Sebastianus-Schützen immer häufiger auf dem Ketteniser Schulgelände. „Seitdem die Schützen ihr Patronatsfest bei uns feiern, blüht die Veranstaltung wieder deutlich auf“, weiß der Direktor. Er selbst hat seinen Teil dazu beigetragen, dass die verschiedenen Vereine des Dorfes nicht nur neben-, sondern auch miteinander feiern. Kamen sich die Termine der Gesellschaften mitunter in die Quere, wird mittlerweile darauf geachtet, dass die Festivitäten zeitlich nicht kollidieren. „Ich koordiniere das Ganze ein wenig. Davon profitieren unter dem Strich alle Beteiligten“, ist Bernd Derichs überzeugt.

Ob organisatorisch oder menschlich: In der Schule laufen in der Ortschaft so einige Fäden zusammen. Weil in Kettenis kein Saal mehr für Veranstaltungen zur Verfügung steht, ist das Ausweichen auf die Aula an der Winkelstraße längst zu einer willkommenen Alternative geworden. „Das ist eine gute Lösung“, findet der dreifache Familienvater. Events jeder Art sind dort erlaubt. Einzige Bedingung: Sie müssen den Schulkindern und/oder dem Dorf zugutekommen.

Schule und Dorfgemeinschaft: Das hängt in Kettenis vielleicht etwas enger zusammen als in anderen Ortschaften. Nicht nur geografisch, sondern auch gesellschaftlich nimmt die Bildungseinrichtung eine Zentrumsfunktion ein. Kam man früher in der St.Katharina-Pfarrkirche zusammen und traf sich nach der Messe zum Plausch auf dem Panneshof, ist heute die Grundschule der Ankerplatz der Dorfgemeinschaft. „Das hat sich eben alles ein wenig verlagert“, weiß der Schulleiter. Von der einen Seite der Winkelstraße auf die andere, um genau zu sein.

Geblieben ist indes die Selbstwahrnehmung der Bewohner. So verfügt man nach wie vor über eine gesunde Portion Lokalpatriotismus. Man ist stolz, Ketteniser zu sein. „Wir betonen das schon gerne“, sagt Bernd Derichs lachend. Das schließt jedoch nicht aus, dass sich die junge Generation ebenso ausgeprägt als Eupener betrachtet. Die Zeit vor der Fusion 1977, als Kettenis noch eine eigenständige Gemeinde war, ist ohnehin nur noch den älteren Dorfbewohnern im Gedächtnis geblieben. In allererster Linie bei ihnen sorgte auch vor einigen Jahren das Anbringen eines „Eupen“-Ortsschildes an der Dorfeinfahrt an der Aachener Straße für Missstimmung. Bernd Derichs kann das teilweise nachvollziehen, sagt aber auch deutlich: „Ich muss mich nicht über ein Straßenschild identifizieren.“ Für ihn macht Kettenis etwas anderes aus: „Es sind vor allem unsere Vereine, unser Dorfleben.“ Dazu gehören für ihn der Glühweinabend der Dorfgruppe, die Pfingstkirmes des Fußballvereins, das Erntedankfrühstück der Landfrauen, die Verschönerung vieler Feste durch die Musikharmonie, die Martinsfeier des Elternrates, die Pfarrbibliothek, kirchliche Feste, das Schulfest und vieles mehr.

Die Ketteniser verfügen über eine gesunde Portion Lokalpatriotismus.

Dennoch ist es mit der Aachener Straße vor allem die zentrale Verkehrsader, die das Erscheinungsbild von Kettenis prägt. Sie spaltet das Dorf seit jeher in zwei Hälften und ist nicht zuletzt aus verkehrstechnischer Sicht ein ständiger Gefahrenherd. „Diese Straße ist schon immer ein großes Problem gewesen. Die Lösung kann aus meiner Sicht nur darin liegen, weitere Verkehrsberuhigungen einzubauen“, schlägt der Schulleiter in dieselbe Kerbe. Erste Maßnahmen seien allerdings schon ergriffen worden – und sie zahlen sich aus. „Wir haben zwar lange für die Einrichtung von 30er-Zonen zu Schulzeiten kämpfen müssen. Aber seit sie vor ein paar Jahren eingeführt wurden, präsentiert sich die Situation schon deutlich besser“, findet er.

Indes ist die Aachener Straße längst nicht mehr der einzige Krakenarm, mit dem Eupen nach Kettenis greift. Durch den Bauboom der letzten Jahre und die zahlreichen neuen Parzellierungen entlang der Einfallschneise ist die einstige Altgemeinde von Eupen einverleibt worden. Das hat dafür gesorgt, dass die Einwohnerzahl der Ortschaft mittlerweile die 4.000er-Marke geknackt hat. „Dadurch entsteht natürlich ein erhöhter Integrationsbedarf. Jedenfalls dann, wenn ein entsprechender Wille bei den Betroffenen vorhanden ist“, betont Bernd Derichs. Und auch hier sieht der 59-Jährige seinen Arbeitsplatz als ideale Anlaufstelle. „Wer als Zugezogener seine Kinder zu uns in die Schule schickt, kommt deutlich einfacher in Kontakt mit anderen Leuten hier. Da ist der Sprung ins Dorf- und Vereinsleben nicht mehr weit“, weiß er aus Erfahrung.

Bernd Derichs selber engagiert sich in der Ketteniser Dorfgruppe. Eine bunte Truppe, die sich zum Ziel gesetzt hat, alte Traditionen in Erinnerung zu rufen und neue Ideen für die Ortschaft zu entwickeln. „Eine überaus spannende Sache“, sagt er begeistert. Erst vor Kurzem habe man festgestellt, dass die Ketteniser in Sachen Fotovoltaik landesweit zu den Musterschülern gehören. Fast 30 Prozent des Energiebedarfs produzieren die Ketteniser auf ihrem eigenen Dach. „Vielleicht lässt sich in diesem Bereich etwas auf die Beine stellen, das in Zukunft der ganzen Dorfgemeinschaft zugute kommt“, träumt er laut. In der Grundschule hat man schon Nägel mit Köpfen gemacht: Solarzellen versorgen sie bereits mit Energie. Das neue Dorfzentrum entpuppt sich auch da als leuchtendes Vorbild.

Die GrenzEcho-LokalRunde macht am 18.März, um 11 Uhr im Café Zum Tal in Kettenis halt. Jeder ist zu dieser Veranstaltung willkommen.