Nachbarschaftsstreit vor Gericht

Bei der Tatwaffe handelte es sich um einen abgebrochenen Besenstiel. Illustrationsfoto:. dpa | 4



Rund 20 Zuschauer, zum Teil Angehörige der beiden Parteien, wohnten der Gerichtsverhandlung bei. Eigentlich hatten die beiden sich gegenüber wohnenden Familien einen normalen nachbarschaftlichen Kontakt, doch irgendwann kam es zwischen ihnen aufgrund von Kleinigkeiten zu Meinungsverschiedenheiten, die sich im Laufe der Zeit zu einem handfesten Nachbarschaftsstreit entwickelten. Am 22. September 2017 eskalierte die Situation. Die beiden Männer gerieten in ihrem Viertel aneinander. Der Angeklagte, der Jüngere der beiden, war mit handwerklichen Arbeiten in seiner Einfahrt beschäftigt, als sein Nachbar, begleitet von seiner Frau, mit dem Auto vorfuhr. Zunächst wurde verbal gestritten, dann kam es zu Handgreiflichkeiten und am Ende trug einer der beiden eine schwere Verletzung einer Halsvene davon. Die Tatwaffe: ein abgebrochener Besenstil. Darüber, wie die Verletzung entstand, gehen die Versionen der beiden Parteien weit auseinander.

Der Angeklagte erklärte, in Notwehr gehandelt zu haben.

Das Opfer, ein dreifacher Familienvater, erklärte vor Gericht, dass am Nachmittag des Tattages sein Widersacher mit dem Besenstil auf ihn eingestochen habe, während er sich in einer gebückten Haltung befand. Der mutmaßliche Täter, der leicht verletzt wurde, erklärte, dass er angegriffen worden sei und sich lediglich verteidigt habe. Sein Nachbar sei mit einem Pflasterstein auf ihn losgegangen, er habe daraufhin den Besen, den er in der Hand hielt, gegen ihn gerichtet, um ihn abzuwehren. Er habe in diesem Moment Todesangst gehabt. Der Besenstil brach im Laufe der Auseinandersetzung über. Schließlich sei man strauchelnd in der Hecke gelandet, wobei der Nachbar quasi in die Spitze des Besenstiels gefallen sei.

Im Rahmen der Gerichtsverhandlung wurden am Donnerstag drei Zeugen vernommen, doch keiner von ihnen hatte den tätlichen Angriff direkt beobachtet. Während eine Frau einen Satz gehört haben will, in dem die Begriffe „kaputthauen“ und „er hat es verdient“ vorkamen, sagte ein weiterer Zeuge aus, er habe den Angeklagten gesehen, wie er wedelnde Bewegungen mit einem Besenstiel gemacht habe und dabei mehrmals sehr laut „Hör auf“ gerufen habe. Die Sicht auf die zweite Person war diesem Zeugen durch die Höhe der Hecke verwehrt geblieben. Eine dritte Zeugin war zu den beiden Streithähnen gestoßen und hatte die Verletzung des Opfers am Hals gesehen.

Der Staatsanwalt schenkt der Schilderung des verletzten Mannes Glauben. Mehrere materielle Elemente der Akte ließen nur diese eine Version als Schlussfolgerung zu.

Anwalt des Opfers: „Die Verletzung war fast tödlich.“

Er nannte u.a. die Position der am Tatort vorgefundenen Blutflecken, die Richtung des Einstichs in den Hals und die Fundorte der Stücke des Besenstiels. In seinen Augen handelt es sich um einen versuchten Totschlag. Die Art und Tiefe der Verletzung und die „Machtposition“, die der Täter hatte, als er sich über das Opfer beugte, würden dies untermauern. Der Angeklagte sei sich seiner Tat bewusst gewesen und habe die Absicht gehabt, zu töten, auch wenn es nur in einem kurzen Augenblick der Fall gewesen sei. Für den versuchten Totschlag forderte er vier Jahre Gefängnis, zeigte sich allerdings auch mit einem Aufschub einverstanden, um den Familienvater nicht aus seinem sozialen Umfeld zu reißen. Auch die Frau des Opfers wurde während des Streites verletzt, deshalb muss der Angeklagte sich wegen Körperverletzung verantworten.

Der geschädigte Mann und seine Frau traten als Nebenkläger auf und forderten eine vorläufige Summe von 5.000 Euro (für ihn) sowie einen Euro (für sie). Ihr Anwalt betonte, dass es sich beinahe um eine tödliche Verletzung gehandelt habe. „Ein paar Millimeter weiter und wir hätten einen Toten gehabt.“ Das zentrale Element bei der Bewertung des Falls ist für ihn die Kraft, die nötig ist, damit ein relativ stumpfer Besenstiel menschliches Fleisch durchdringe. „Es ist nicht wie bei einem Messer. Es geht nicht ohne Kraft“, so der Anwalt, der deshalb die These eines Hineinfallens in den Stiel ausschließt.

Für die Verteidigerin des bisher unbescholtenen Angeklagten untermauern die materiellen Elemente der Akte die Unschuld ihres Mandanten bzw. dessen Version der Notwehr. Das Blut und der blutbeschmierte Besenstiel seien in dessen Vorgarten gefunden worden, in der Nähe der Hecke. „Die Gegenpartei behauptet, mein Mandant habe im Kreuzungsbereich auf das Opfer eingestochen, doch dort wurden keine Blutflecken gefunden“, betonte sie. „Außerdem war bis zur Rekonstruktion der Tat nie von dem Szenario des Überbeugens die Rede.“ In den Aussagen der Gegenpartei machte sie u.a. mehrere Widersprüche aus, vor allem was die Anwesenheit der Frau bei dem Streit angeht. Sie beantragte für ihren Mandanten einen Freispruch in beiden Anklagepunkten und hilfsweise eine Aussetzung der Urteilsverkündung. „Der Vorfall ist für ihn und seine Familie ein erstes Drama. Das zweite Drama ist die Qualifizierung der Staatsanwaltschaft, die von versuchtem Totschlag spricht“, so die Anwältin. In seinem persönlichen Schlusswort betonte der Angeklagte, dass es nie seine Absicht gewesen sei, jemanden zu verletzten, das habe er noch nie gemacht.

Das Urteil soll am 17. Dezember verkündet werden.