Morgen II

Auf dem Weg zum Triangel kam ich heute früh an einem kleinen fotokopierten Plakat am Eingang zu einem Ladengeschäft vorbei. Die Ankündigung für eine Ausstellung zum Thema „Haarstruktur bei Kaninchen“, die Anfang November stattfinden soll. Die Vereinigung europäischer Haarstruktur Kaninchenzüchter lädt ein. Und ich erwischte mich bei dem Gedanken, dass solange es solche Sachen gibt, alles doch irgendwie in Ordnung ist. Und ich dachte an den kleinen hässlichen Vogel. „Der kleine hässliche Vogel“ mit dem Follow the rabbit am Mittwochnachmittag uns hier eine radikale und beunruhigende Geschichte vom Leben als Außenseiter erzählt haben.

Eine böse Geschichte vom Kampf mit dem Leben außerhalb der Gemeinschaft, von den erschreckenden Gemeinheiten, die möglich und viel zu oft viel zu real sind. Ein beeindruckendes Plädoyer für das Mitgefühl mit den Getretenen und Geschlagenen und zugleich ein eindringlicher Aufruf, sich selbst gegenüber Verantwortung zu übernehmen. Keine kurvenreiche Fabel von der Selbstermächtigung mit Regenbogen am Ende und einem Leben in mutig erkämpfter Freiheit. Nein, vielmehr eine schonungslose Stellungnahme und unverklärte Beobachtung, die nicht auf wartende Hoffnung und seelige Retter setzt, sondern auf die kleinen Schritte der Veränderung.

„Der kleine hässliche Vogel“ ist allerdings auch eine klug gebaute Erzählung über das Verhältnis der gesamten Gesellschaft zum Einzelnen und umgekehrt. Eine krachende und bewegende Fragensammlung: Wieviel Verantwortung tragen wir füreinander? Wieviel Kraft hat selbst der Schwächste in der Gemeinschaft, wieviel Veränderung ist denn eigentlich machbar? Und wie schnell? Oder ist das Aushalten der Umstände, auch der erträumten oder selbst gebauten am Ende alles, was wir tun können?

Das Miteinander, auch und gerade das mit der eigenen Geschichte, verhandelte am Abend auch „Die Harmonie der Gefiederten“ vom Agora Theater. Die Familie als erste Gemeinschaft, die man kennenlernt, stand hierbei im Mittelpunkt. Das Ankommen, das Loslassen und die schwierigen Schritte ins eigene Leben – eine locker gebaute und musikalische Abhandlung über die Wachstumsschmerzen von Eltern und Kindern. Klar umrissen, mit eindeutigen Fragen und sehr eindeutigen Figuren. Zuweilen beinahe wie eine Unterrichtsstunde in Sachen Familiensinn und dem was uns landläufig als solcher kolportiert wird. Ein leicht sperriger Abend auch, der für mich ein wenig unter der eigenen Klarheit litt. Und seine Fragen doch mit Nachdruck stellte. Wann ist denn der richtige Zeitpunkt, sein Nest zu verlassen? Wann beginnt das eigene Leben, das Familienleben abzulösen? Wann werde ich zum Fixpunkt in meinem Leben anstatt die gewohnte Familiengesellschaft?

Und wie einsam ist man denn so oft im Gemeinsamen? Eine Frage, die beide Produktionen miteinander verbindet. Eine Frage, die in vielen Debatten, Aktionen und Initiativen, sei es politischer, sozialer oder künstlerischer Art fehlt. Und ja, das sind viele Fragen für einen einzigen Vormittag. Aber ich hoffe jetzt einfach mal, dass er es mir nachsehen wird.