"Leben vor und nach dem 22. März": Belgien gedenkt der Terrorattacken

Königin Mathilde und König Philippe nehmen an der Gedenkveranstaltung für die Terroropfer am Flughafen Zaventem in Brüssel teil. | dpa

„Ich habe mich oft gefragt, was wäre wenn? Was, wenn wir zehn Minuten später aufgebrochen wären? Was, wenn wir ein wenig langsamer gefahren wären?“, fragt Lars Waetzmann, der vor einem Jahr seine Frau Jennifer beim Terroranschlag am Brüsseler Flughafen verloren hat. „Aber es ist geschehen: In einem Sekundenbruchteil, hat sich meine Welt verändert: Von der Aufregung, gemeinsam nach New York zu reisen, zu dem Horror, in dem ich mich befand.“

Stellvertretend für viele Opfer der islamistischen Anschläge erinnert Waetzmann an diesem strahlenden Mittwochmorgen an den 22. März 2016. Kurz darauf, um 7.58 Uhr, jährt sich der schreckliche Moment, der sein Leben verändert hat. Angehörige, Rettungskräfte, Politiker und das Königspaar Philippe und Mathilde werden still in dieser Minute.

Drei islamistische Selbstmordattentäter haben 32 Menschen am Flughafen und in der Brüsseler U-Bahn getötet, mehr als 300 teils schwer verletzt. Erst in diesem Jahr haben die letzten der Verwundeten das Krankenhaus verlassen. Manche fühlen sich von Regierung, Arbeitgebern und Versicherungen allein gelassen.

„Diese Explosion forderte Leben, Träume, beendete Wege“, sagt Christelle Giovannetti. „Warum aufstehen? Wie kann ich aus der Einsamkeit ausbrechen? Wie kann ich weitermachen mit Horrorbildern im Kopf?“ Mit brechender Stimme trägt die Überlebende der Explosion in der U-Bahn ihre Gedanken vor. Vor einem Jahr, um 9.11 Uhr, ging dort ein Sprengsatz hoch.

Die Metrostation Maelbeek ist nicht erst ein Jahr später zum Ort des Gedenkens geworden. Auf der Wand, vor der der Kranz mit hellen Blumen und Band in den Nationalfarben niedergelegt wird, prangt ein trotziges „Tous ensemble“ („Alle zusammen“) über vielen weiteren Botschaften, die Menschen dort hinterlassen haben. Sie habe so viel Unterstützung und Solidarität erfahren, sagt Giovannetti. „Meine Verletzungen sind unumkehrbar, aber mein Kampf geht weiter.“

Neben Opfern und Angehörigen stehen die Rettungs- und Sicherheitskräfte im Zentrum des Gedenkens. Premier Charles Michel und das Königspaar schütteln Hände, wechseln Worte mit jenen, die das Grauen so hautnah erlebt haben. „Auf den Hass und die Gewalt haben Sie mit Würde geantwortet, Zweifeln und Angst haben Sie Mut und einen großartigen Willen zum Wiederaufbau entgegengesetzt“, spricht Philippe, an die Angehörigen gewandt.

„Für die meisten von uns, gibt es ein Leben vor und nach dem 22. März 2016“, sagt Flughafen-Feuerwehrmann Geert Raveel. An jenem Tag vor einem Jahr habe zunächst einfach jeder nur funktioniert: „Jeder hat alles gegeben.“ Erst danach, am Abend, hätten die Helfer wirklich begriffen, was da geschehen sei. „Als Rettungskräfte hoffen wir, dass wir nie wieder ein solches Drama erleben müssen. Dennoch, wenn sich das wiederholen sollte, dann stehen wir bereit im Dienst der Gemeinschaft.“

Der Tag der Anschläge war furchtbar für zahlreiche Menschen. Doch immer wieder erinnerten sich Opfer auch an spontane Hilfe und Unterstützung, die sie erfahren haben. „Mitten im Chaos, hat ein völlig Fremder mir seine Jacke unter den Kopf gelegt und ist an meiner Seite geblieben – eine einfach Geste eines Menschen für einen anderen, die bis heute alles bedeutet“, berichtet Waetzmann. Inmitten des Horrors habe es auch das gegeben. „Ich habe mich entschieden, mich an Letzteres zu erinnern. Und ich hoffe, Sie tun das alle.“ (dpa)