Krawalle in Brüssel: Kritik an Polizeieinsatz



Bei gewalttätigen Ausschreitungen im Brüsseler Stadtzentrum nach der Qualifikation von Marokko für die Fußball-WM 2018 sind in der Nacht zum Sonntag 22 Polizisten verletzt worden. Rund 300 Menschen seien beteiligt gewesen, berichtete die Nachrichtenagentur Belga unter Berufung auf die Polizei. Sie setzten zwei Autos in Brand und plünderten mehrere Geschäfte. „Es war ein echtes Schlachtfeld“, urteilte ein Fotograf. „Menschen weinten und waren in Schock. Es war heftig.“ Anwohner und Händler kritisierten den Einsatz der Sicherheitskräfte als zu zögerlich.

Die Zusammenstöße ereigneten sich kurz nach dem Spiel Marokkos gegen die Elfenbeinküste. In Brüssel leben zahlreiche Einwanderer aus Nordafrika, vor allem in dem Stadtviertel zwischen Südbahnhof und Altstadt. Das anfängliche Freudenfest der marokkanischen Fans über die WM-Quali schlug schnell um in Vandalismus, Brandstiftung, Plünderung und Gewalt, als Krawallmacher sich unter sie mischten.

Bei den Krawallen auf dem boulevard Lemonnier und in der Nähe der Börse wurde ein Passant mit Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht. Die Randalierer schlugen zudem Schaufenster von Geschäften ein. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, um die Menge zu zerstreuen. Festgenommen wurde zunächst niemand. Eine halbe Stunde nach Mitternacht kehrte den Angaben zufolge langsam wieder Ruhe ein. Die Polizei leitete Ermittlungen ein und wollte Bilder von Überwachungskameras auswerten. Auch die Höhe der Schäden war unklar.

„Völlig überrascht, zu wenig Mannschaften und Betonblöcke, die uns im Weg standen.“ Einige Brüsseler Polizisten reagierten frustriert auf die Vorfälle in der Nacht zum Sonntag und berichteten anonym über Faktoren, die ihre Arbeit unnötig erschwerten. Die erwähnten Betonblöcke an den Zugängen der Fußgängerzone sollen Anschläge mit Fahrzeugen wie in Nizza, Berlin und Barcelona verhindern. „Auch die Kollegen von der Feuerwehr konnten ihre Arbeit nicht machen. Sie versuchten, ein brennendes Auto zu löschen und wurden plötzlich von Jugendlichen unter Beschuss genommen und mussten sich zurückziehen“, so ein Polizeibeamter gegenüber dem Sender VRT. Dabei ist die Polizei in der Hauptstadt gut ausgerüstet und ausgebildet für Einsätze bei Ausschreitungen. „Wir verfügen über Tränengas und Gummigeschosse. Das einzige, was wir nicht haben, ist die formale Zustimmung, um sie auch tatsächlich einzusetzen“, hieß es. Als für die Polizei klar wurde, dass die Lage aus dem Ruder zu laufen drohte, wurde Verstärkung angefragt. „Und auch das ging zu langsam.“

Der Sprecher der lokalen Polizeizone erklärte dagegen, dass die Polizei gut vorbereitet gewesen sei und über genug Mannschaften verfügte. „Wir erhalten zahlreiche Aufrufe gleichzeitig, und es muss eine Auswahl getroffen werden“, so der Kommissar. Die Einsatzkräfte seien von der Schnelligkeit überrascht worden, mit der einige Randalierer die Geschäfte geplündert hätten. Der Einsatz solle nun aufgearbeitet werden.

Der Inhaber eines Möbelgeschäftes am boulevard Lemonnier beklagt sich bitter: „Mit Poller haben sie alle Schaufenster eingeschlagen. Dann haben sie im Ausstellungsraum versucht, Feuer zu legen. Der Schaden ist enorm. Alles ist kaputt. Die Randalierer sind sogar in die Wohnungen über dem Geschäft eingedrungen und haben dort einen Feuerlöscher geleert. Bei einer jungen Frau haben sie den Computer, den Fernseher, ein iPad und die Brieftasche gestohlen.“ Der Mann ist wütend auf die Polizei. „Das hat sicher 20 Minuten gedauert. Die Polizei durfte oder wollte nicht auftreten.“

„Inakzeptable Aggressionen im Zentrum von Brüssel“ teilte Innenminister Jan Jambon (N-VA) im Kurznachrichtendienst Twitter mit. „Das Zusammenleben setzt Respekt voraus, auch für die Polizisten, die sich Tag und Nacht für unsere Sicherheit einsetzen.“ Später erklärte er, es sei „unbegreiflich“, dass niemand festgesetzt worden sei. Der Polizeieinsatz werde durch die Generalinspektion der föderalen und lokalen Polizei untersucht, betonte er, zeigte aber gleichzeitig auch Verständnis. „Für die Händler ist jede Sekunde, die die Polizei auf sich warten lässt, eine Ewigkeit. Aber jetzt die Schuld bei der Polizei zu legen, das geht zu weit. Es geht doch nicht an, dass wir uns auf Ausschreitungen vorbereiten und aus Brüssel eine belagerte Stadt machen müssen, wenn in Afrika ein Fußballspiel stattfindet.“ Die Täter würden jedenfalls auf Basis der Kamerabilder zur Rechnenschaft gezogen, so der Minister noch.

Brüssels Bürgermeister Philippe Close (PS), der sich auch Kritik aus den Reihen der Oppositionspartei CDH gefallen lassen musste, verteidigte den Polizeieinsatz. In seinen Augen waren die Sicherheitskräfte nicht zu spät vor Ort. Sie seien auf eventuelle Probleme nach dem Fußballspiel vorbereitet gewesen. Premierminister Charles Michel (MR) lobte die Polizei, die mit der „nötigen Gelassenheit“ reagiert hätte. Der für Brüsseler Angelegenheiten zuständige flämische Minister, Sven Gatz (Open VLD), forderte eine schnelle und schwere Bestrafung der Randalierer.

Das Viertel rund um die ehemalige Börse verkomme schon seit geraumer Zeit, ohne dass die Stadtverwaltung eingreift, erklärte die Brüsseler Staatssekretärin Bianca Debaets (CD&V). „Es ist ein trostloses Viertel, das von Straßenbanden beherrscht wird. Selbst am helllichten Tag wird dort gedealt. Passanten, vor allem Frauen, werden auf offener Straße eingeschüchtert.“ (gz/belga/vrt)