Belgisches Gezeter um Ceta geht weiter

DG-Ministerpräsident Oliver Paasch steht den deutschsprachigen Medien Rede und Antwort . | belga



Entgegen aller Erwartungen stieg am Mittwochabend kein weißer Rauch über der Amtswohnung von Premierminister Charles Michel (MR) in Brüssel auf: Die Einigung zwischen dem föderalen Regierungschef und den Ministerpräsidenten der Regionen und Gemeinschaften, unter ihnen Oliver Paasch (ProDG), auf eine gesamtbelgische Position zum Freihandelsabkommen Ceta blieb aus. Um 23 Uhr trennten sich die Unterhändler und vereinbarten eine neue Gesprächsrunde am Donnerstag, um 10 Uhr.  Es seien noch Fragen technischer Art offen, erklärte der wallonische Ministerpräsident Paul Magnette (PS). „Wir haben noch Arbeit“, musste auch Paasch zugeben. „Aber die Gespräche sind gut vorangekommen.“ Das war es schon am Vorabend und erst recht den ganzen Mittwoch über, als es nach einem (unproblematischen) Durchbruch ausgesehen hatte. Es seien „große Fortschritte“ (O-Ton Paasch) verbucht worden, und im Nachmittag hätten die allerletzten strittigen Fragen geklärt werden, hieß es. Die Stunden bis zur abschließenden Runde um 21 Uhr sollten zu letzten Überprüfungen und Konsultationen dienen. „Alle Texte sind konsolidiert, zu allen Themen“, hatte Außenminister Didier Reynders (MR) zuvor erklärt.

Es schien, als wären die Widerstände der Regierungen aus dem frankofonen Landesteil überwunden. Im Nachmittag hieß es, zu allen Streitpunkten seien grundsätzliche Einigungen erzielt worden – wie zu den in Ceta vorgesehenen Mechanismen zur Schlichtung von Streit zwischen Unternehmen und Staaten sowie im Bereich der Landwirtschaft (Einfuhr von Hormonfleisch, Schutz landwirtschaftlicher Produkte, Milchpreise, Herkunftsbezeichnung,…). Die wallonische Regionalregierung hatte befürchtet, dass Ceta belgische Sozial- und Umweltstandards aushöhlen und die Sozialversicherung sowie die Landwirtschaft der Wallonie schwächen könnte. Sie wollte sicherstellen, dass die geplante Ceta-Zusatzerklärung, in der die EU weitreichende Garantien für die EU-Staaten ausspricht, rechtlich bindend ist.

Vor allem beim Thema Investorenschutz hatte der wallonische Ministerpräsident Zweifel, und die Schiedsgerichte waren ihm ein Dorn im Auge. Außerdem sollten wallonische Bauern vor möglichen negativen Auswirkungen geschützt werden. Mit dem Begleittext/Zusatzdokumente hat die EU-Kommission deutlich machen können, dass die Wallonie durch das Abkommen keine Nachteile fürchten müsse. In separaten Dokumenten wurden die Sorgen der Wallonen vor Hormonfleisch, gentechnisch veränderten Lebensmitteln und einer zu starken Reglementierung der öffentlichen Auftragvergabe ausgeräumt.

Ceta soll eigentlich am Donnerstag feierlich mit dem kanadischen Premier Justin Trudeau in Brüssel unterzeichnet werden. Obwohl dies gestern unmöglich wurde, war der Termin bis zum frühen Abend noch nicht offiziell abgesagt. Selbst eine Einigung zwischen den Teilstaaten ist noch keine Unterschriftsvollmacht für die Föderalregierung. Der mit der Europäischen Kommission ausgehandelte Text wird dem Ausschuss der ständigen Vertreter der 28 EU-Mitglieder (COREPER) übermittelt und muss mit den anderen 27-Mitgliedsstaaten abgestimmt werden – wahrscheinlich im schriftlichen Verfahren. Zudem ist die Zustimmung der drei frankofonen Teilstaatenparlamente erforderlich, die sich in einer Resolution gegen Ceta ausgesprochen hatten. Diese könnten binnen 48 Stunden einberufen werden.

Die Europäische Union misst dem Handelspakt große Bedeutung zu. Er soll Zölle und andere Hemmnisse abbauen und so Handel und Wirtschaft beflügeln. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte, immer mehr Bürger machten sich Sorgen, dass die EU beim Freihandel nicht ihre Interessen vertrete. „Ich fürchte, wir werden keine Freihandelsverträge mehr aushandeln können, wenn wir nicht beweisen, dass wir es ernst meinen, die europäischen Verbraucher, Arbeiter und Unternehmen zu schützen“, fügte er hinzu. Für die DG sei es wichtig, dass alle Zugeständnisse der EU-Kommission an Belgien – und somit auch an die Deutschsprachige Gemeinschaft – „wasserdicht rechtsverbindlich sind“, betonte Oliver Paasch.

Bedingungen der DG erfüllt, Vorbehalte ausgeräumt.

„Das sogenannte gemeinsame Auslegungsinstrument, eine Anwendungserklärung zum Ceta-Abkommen, muss die gleiche Rechtskraft haben wie der eigentliche Handelsvertrag.“ Die Regierung der DG habe von Anfang an klare Bedingungen für die Erteilung ihrer Unterschriftsvollmacht gestellt. Die DG-Regierung habe von Anfang an klar gesagt, dass bei einer Einigung zwischen allen Gliedstaaten die DG sich nicht widersetzen und ebenfalls ihre Vollmacht für die Unterzeichnung des Vertrags geben werde.

Die Vorbehalte seien ausgeräumt, und die Bedingungen, die die DG an das Abkommen gestellt hatte, seien mittlerweise nach allgemeiner Einschätzung erfüllt, stellten sowohl Paasch als auch die Mehrheitsfraktionen im PDG am Mittwoch klar. „Das Abkommen bietet die Chance, dem internationalen Handel die strengen europäischen Standards und demokratisch legitimierte Rechtsstaatlichkeit aufzuzwingen“, so ProDG, SP und PFF in einer gemeinsamen Pressemitteilung.

Der Ceta-Zeitplan

Sobald eine gesamtbelgische Position zum Freihandelsabkommen Ceta vorliegt, wird diese dem Ausschuss der ständigen Vertreter der 28 EU-Mitgliedsländer (COREPER) übermittelt. Die anderen 27 Staaten müssen nämlich ihr Einverständnis zu diesem mit der EU-Kommission ausgehandelten Text geben – wahrscheinlich in einem schriftlichen Verfahren.

Gleichzeitig ist auch die Zustimmung der drei frankofonen Regionalparlamente erforderlich, die sich in einer Resolution gegen Ceta ausgesprochen hatten. Erst dann kann der Föderalregierung, namentlich Außenminister Didier Reynders (MR), die Vollmacht zur Unterzeichnung gegeben werden.

Nach der feierlichen Unterzeichnung, die ursprünglich für Donnerstag vorgesehen war, kann es bis zum endgültigen Inkrafttreten des Handelspakts noch dauern. Nach dem formellen Abschluss der Verhandlungen startet nämlich der Ratifizierungsprozess, und der kann einige Jahre in Anspruch nehmen. Ceta kann erst dann vollständig in Kraft treten, wenn zuvor die nationalen und – wie in Belgien – regionalen Parlamente Ja gesagt haben.

Als Erstes steht die Abstimmung im Handelsausschuss des EU-Parlaments an. Später stimmt das Plenum des EU-Parlamentes ab.

Wenn die Europaabgeordneten zugestimmt haben, kann das Abkommen für all jene Bereiche, die unbestritten in EU-Zuständigkeit liegen, vorläufig angewendet werden. Vorläufig angewendet werden können z.B. die Vereinbarungen zum Zollabbau und zur öffentlichen Auftragsvergabe. Die vorläufige Anwendung würde es ermöglichen, dass EU-Unternehmen so schnell wie möglich von den neuen Ceta-Regelungen profitieren können.

Die Teile des Abkommens, die nicht in alleiniger EU-Kompetenz liegen, können erst nach der Ratifizierung durch die nationalen und regionalen Parlamente in Kraft treten. Beispiele sind der Investitionsschutz und die Regelungen zu Streitigkeiten zwischen Staaten und Unternehmen, sprich die umstrittenen Schiedsgerichte.

Schließlich steht auch noch das finale Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts über die verfassungsmäßige Zulässigkeit von Ceta aus. Dieses wird erst in Monaten, vielleicht sogar Jahren fallen. Am 13. Oktober 2016 hatte das Gericht der deutschen Bundesregierung unter Auflagen erlaubt, Ceta zu unterschreiben.