Anwalt fordert Straffreiheit für Salah Abdeslam

Zeichnung von Abdeslams Anwalt Sven Mary am Donnerstag im Gerichtssaal. Zeichnung: Igor Preys | 4

Die Anklage sei unzulässig, wegen Verfahrensfehlern müsse die Strafverfolgung eingestellt werden, erklärte der bekannte Strafverteidiger Sven Mary am Donnerstag vor Gericht in Brüssel. Nach seiner Ansicht liegt ein Verstoß gegen die Sprachgesetzgebung vor. Eine Verfügung der föderalen Staatsanwaltschaft sei einem niederländischsprachigen Untersuchungsrichter auf Französisch ausgestellt worden. Da die gesamte Strafakte auf diesem französischsprachigen Dokument basiere, sei die Strafforderung unzulässig. Mit anderen Wortern: Bei einer Beurteilung dürfe der Richter den Ermittlungen, die auf dem besagten Dokument basieren, keine Rechnung tragen. „Urteilen Sie über ihn wie über jeden anderen“, sagte Mary noch in seinem Plädoyer. „Diese Akte ist belastet durch alles, was sie gelesen und gehört haben“, sagte er. Sie dürften sich davon nicht beeinflussen lassen. In dem Fall seien „keine Elemente vorhanden, um Abdeslam für eine terroristische Straftat zu verurteilen“. Ob der Verteidiger mit seiner Argumentation eine Chance hat, bleibt abzuwarten. Die Sprachgesetzgebung ist in Belgien streng geregelt, doch will dies nicht heißen, dass jeder Verstoß gleich ein großes Problem ist, meinen Strafrechtler. Wichtiger sei, dass das Dokument korrekt abgefasst wurde – was der Fall sei.

Abdeslam selbst erschien am zweiten Verhandlungstag nicht vor Gericht. Er hatte am Dienstag seine Abwesenheit angekündigt. Am Donnerstag wurde er zurück in das Gefängnis nahe Paris gebracht, in dem er bis zum Prozessbeginn untergebracht war. Sein Verteidiger bestätigte, er werde seinen Mandanten dennoch weiterhin vertreten. Beim Prozessauftakt am Montag hatte der Franzose sich geweigert, Fragen zu beantworten, und den Richtern getrotzt: Er habe keine Angst und vertraue auf Allah, sagte er. Der Anwalt von zwei als Nebenkläger auftretenden Polizisten, Tom Bauwens, kritisierte am Donnerstag, Abdeslam mache sich über den Rechtsstaat lustig. Sven Mary bezeichnete Abdeslam als „Stoiker“, der sein Schicksal akzeptiert habe. Er hingegen als sein Anwalt glaube, dieses Schicksal beeinflussen zu können.

Abdeslam ist der einzige überlebende mutmaßliche Attentäter der Pariser Anschläge am 13. November 2015 mit 130 Toten. Der laufende Prozess steht offiziell aber nicht in Verbindung mit den islamistischen Anschlägen. Der 28-Jährige und sein mutmaßlicher Komplize, der 24-jährige Tunesier Sofiane Ayari, werden beschuldigt, vier Monate nach den Pariser Anschlägen bei einer Wohnungsdurchsuchung in der Brüsseler Gemeinde Forest das Feuer auf Beamte eröffnet zu haben. Bei der Schießerei wurden drei Polizisten verletzt, die Beamten erschossen den Islamisten Mohamed Belkaïd. Ayari und Abdeslam entkamen und wurde drei Tage später festgenommen. Die Brüsseler Staatsanwaltschaft fordert für beide 20 Jahre Haft wegen versuchten Polizistenmordes in einem terroristischen Zusammenhang. Allerdings gehen die Ermittler davon aus, dass es bei dem Schusswechsel aufseiten der Islamisten lediglich zwei Waffen gab: Ayari hielt die eine, Belkaïd die andere. Abdeslams DNA-Spuren wurden in der Wohnung gefunden, nicht aber an den Waffen.

Der Anwalt des Mitangeklagten Ayari, Isa Gultaslar, plädierte am Donnerstag gegen eine Terrorverurteilung. Es scheine, als solle seinem Mandanten statt wegen der Schießerei wegen Terrorismus der Prozess gemacht werden, sagte er am Donnerstag vor Gericht. Ayari hatte sich vor Gericht zwar kooperativ gezeigt, entgegnete aber auf viele Fragen, er könne sich nicht erinnern, oder verwies auf frühere Aussagen.

Die Verhandlungen finden unter sehr strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Dutzende Journalisten hatten sich für den Prozess akkreditieren lassen. Die chaotischen Zustände vom ersten Prozesstag, als Journalisten in Massen den Justizpalast belagerten, blieben am Donnerstag allerdings aus. Der Prozess soll nach Angaben des Gerichts am 29.März mit der Anhörung von Opfervertretern fortgesetzt werden. Im Anschluss hat das Gericht einen Monat Zeit, um sein Urteil bekannt zu geben. (gz/dpa/vrt)