Hauseter Urgestein: „Das Dorf hat sich einfach verändert“

Erich Kockartz lebt seit seiner Geburt in Hauset. Wie sehr dem Urgestein das Dorf am Herzen liegt, ist nicht nur durch seine Aussagen spürbar. | Ralf Schaus



Kurz nach 15 Uhr. Erich Kockartz sitzt am Esstisch seines Wohnzimmers, als wir ihm einen Besuch abstatten. Der 79-Jährige trägt Jeans und Schnürschuhe, darüber ein kariertes Hemd mit einem roten Pullover. Während sich bei einigen Senioren die Lebensjahre körperlich und geistig bemerkbar machen, präsentiert sich der Hauseter quietschfidel. „Das kommt auch nicht von ungefähr“, meint er. Schließlich habe er sich sein Leben lang sportlich betätigt, und das bis vor zwei Wochen. Sein Jungbrunnen: das Laufen. „Zwei mal pro Woche, mittwochs und samstags, bin ich raus, um rund zehn Kilometer zu absolvieren“, erzählt Erich Kockartz und kommt bei dem Gedanken an seine Routen durch das Dorf ins Schwelgen. „Schauen Sie sich die Gegend hier doch einmal an. Einfach traumhaft schön. In meinen Augen kann von der Landschaft her kein anderes Dorf im Norden der DG mit Hauset mithalten“, meint der Rentner. Doch früher sei es „noch schöner“ gewesen.

Erich Kockartz weiß, wovon er redet, denn seit seiner Geburt im Jahr 1937 lebt er in der Altgemeinde Hauset und hat seither die Entwicklung des Dorfes am eigenen Leib miterlebt. „Früher kannte hier praktisch jeder jeden“, erinnert er sich und fügt hinzu: „Heute kenne ich meine Nachbarn, die 20 Meter weiter wohnen, nicht mehr. Das ist schon sonderbar.“ Aber woran liegt das? Erich Kockartz meint, die Antwort zu kennen: „Für den Großteil der Bevölkerung ist Hauset mittlerweile nicht mehr als eine Schlafstätte. Die meisten Einwohner stehen morgens auf, fahren zur Arbeit nach Aachen oder sonst wo hin und kommen erst abends spät zurück, essen und legen sich anschließend ins Bett. Und am Wochenende sind sie mit ihrer Familie dann irgendwo unterwegs, nur nicht in Hauset. Daher sieht man die Leute einfach nicht mehr und kommt auch nicht mit ihnen in Kontakt.“ Im Vergleich zu damals würden sich heute nur noch wenige, ob zugezogen oder nicht, im Dorf- und Vereinsleben engagieren.

Die Grenzortschaft sei früher eine in sich ruhende Lebens- und Arbeitsgemeinschaft gewesen. Außerdem gab es zahlreiche Geschäfte und gesellschaftliche Treffpunkte wie eine Metzgerei, ein Kolonialwarengeschäft oder Dorfkneipen. Heute ist davon quasi nichts mehr übrig geblieben. „Das Dorf hat sich einfach verändert, aber das ist nun einmal der Lauf der Dinge“, bringt es Kockartz nüchtern auf den Punkt. Zwar sei der Ort in den letzten Jahrzehnten stetig gewachsen, die Dorfgemeinschaft aber im Gegenzug geschrumpft. „Das Leben pulsiert längst nicht mehr in Hauset“, deutet der 79-Jährige an. Und wenn doch mal, dann in der Kirchstraße, dort wo Pfarrkirche, Gemeindeschule, Mehrzweckhalle, Jugendheim und Polizeidienststelle in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander liegen. Auch das Herz der Landwirtschaft schlägt deutlich schwächer als vor einigen Jahren. „In Hauset gab es mal knapp 60 Landwirte und heute? Ja heute halten nur noch zwei Bauern die Stellung im Dorf“, erzählt er.

Aber totsagen will Kockartz „sein“ Dorf nicht. Im Gegenteil. In Hauset gibt es auch Lichtblicke. Einer davon ist das Vereinsleben, das er selbst in verschiedenen Bereichen aktiv mit geprägt hat, sei es im Gesang, dem Sport oder Theater. „Ohne die Vereine, die natürlich kleiner und weniger geworden sind in den letzten Jahren, würde das Dorf nur noch vegetieren und nicht leben“, sagt er. Aushängeschilder Hausets seien vor allem der Wanderclub Micky Mäuse, die Theatergruppe Gaudium und der Fußballverein FC Gut Schluck, der neben seinen sportlichen Erfolgen auch durch das jährliche Oktoberfest die Bekanntheit des Dorfes gesteigert hat. Doch auch dort habe ein Veränderungsprozess eingesetzt. „Als der Verein gegründet wurde, lautete noch die Devise: Nur Hauseter dürften mitspielen. Zwei Jahrzehnte lang hatte das auch wunderbar geklappt. Doch dann mussten wir aufgrund von Nachwuchsmangel auch Jungs aus den Nachbardörfern fragen, um den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten“, berichtet er.

Der 79-Jährige Hauseter schreibt Gedichte über „sein“ Dorf, aber nicht nur in Deutsch, sondern auch auf Platt.

Erich Kockartz lebt für Hauset, das unterstreichen nicht nur seine jahrelangen Engagements in der Vereinswelt, sondern auch seine Gedichte, die er in Mundart oder Hochdeutsch verfasst. „Das Dichten liegt mir einfach und macht mir Spaß“, verrät er. Einen dicken schwarzen Ordner hat er mittlerweile mit seinen Schriftstücken gefüllt. All seine Werke haben eins gemeinsam: Sie handeln ausschließlich von Hauset. „Ich liebe das Dorf einfach und will meine Verbundenheit mit meinen Gedichten zum Ausdruck bringen“, sagt er. Verbunden ist er auch dem Platt. „Damit bin ich eben aufgewachsen und habe die Sprache überall gelebt. Heute kann jedoch kaum noch ein Hauseter den Dialekt sprechen“, berichtet er. Um dem entgegenzuwirken, lancierte Kockartz gemeinsam mit der Schule einen freiwilligen Mundartunterricht, der anfangs rege angenommen wurde, aber heute nicht mehr besteht. „Im ersten Jahr hatte ich zwölf Schüler, die Platt lernen wollten. Der Unterricht lief gut, doch mit und mit nahm das Interesse ab, weshalb ich beschloss, den Unterricht zu beenden. Nur drei Schüler zu unterrichten, ist nicht wirklich effektiv und macht auch keinen Spaß“, erzählt er. Mundart sei nun einmal eine tote Sprache, „die auch tot bleiben wird, was sehr schade ist“.

Aber was ist sonst noch los im Dorf? Über was wird gesprochen, gestritten oder gelacht? Am Sonntag, 7. Mai, um 11 Uhr macht die GrenzEcho-Veranstaltungsreihe LokalRunde in der Mehrzweckhalle in Hauset halt, um über diese Themen mit Interessierten zu reden.