Tihange, bei Aachen



Da gibt es das klassische Beispiel des bösen Löwen, den man besser erst gar nicht in seine Nähe lässt, anstatt ihn mit Käfig, Maulkorb oder anderen Hilfsmitteln bändigen zu wollen.

Nun ist Atomkraft ein besonders böser (belgischer) Löwe. Bei einem Unfall wären die Auswirkungen schwer und würden weit reichen. Weil Strahlung nicht an Grenzen aufhört, liegt Tihange auf einmal „bei Aachen“. Und die belgischen Reaktoren werden im Grenzland zum Reizthema. Emotionen kochen hoch. Es gibt sie auf einmal wieder: „die Belgier“ und „die Deutschen“.

„Der Belgier“ würde bei seiner Energieversorgung auch lieber nur auf Sonne oder Wind setzen. Auch in Belgien wurde der Ausstieg aus der Atomenergie grundsätzlich beschlossen, doch hält man das Risiko von Atomenergie (noch) für kalkulierbar. Der Belgier glaubt daran, dass seine Käfige und Maulkörbe sicher genug sind, den bösen Löwen im Zaum zu halten.

„Der Deutsche“ hingegen geht auf die Barrikaden und organisiert den Protest – mit aller Gründlichkeit. Nicht etwa gegen das, was im eigenen Land schief läuft – so als ob es da nichts gäbe… Nein, deutsche Medien und Politik schimpfen über die „maroden belgischen Bröckelreaktoren“ – so als würde in Tihange der Zement herunter rieseln.

Und „der Ostbelgier“ ist irgendwo dazwischen. Wir liegen halt nicht nur geografisch zwischen Tihange und Aachen. Wir nehmen zur Kenntnis, wie in der belgischen Berichterstattung die aktuell aufgetauchten neuen Risse im Reaktorbehälter von Tihange nur auf eine veränderte Kameraposition zurückgeführt werden, wie sie hingegen auf deutscher Seite Anlass für neue „Bröckel“-Tiraden sind. „Diese neuen Risse kommen für uns zu einem guten Zeitpunkt“, so hörte man dieser Tage fast erfreut von den Organisatoren der Anti-Tihange-Menschenkette. Schon wieder ein Bericht in der Tagesschau, den man diesseits der Grenze als besserwisserisch und überheblich empfindet.

Deutsche Überheblichkeit mit Blick auf den kleinen Nachbarn ist etwas, das man hierzulande nicht mag, und deshalb hängen viele auch grundsätzlich keine „deutschen“ Atomenergie-Protestplakate auf, auch wenn sie eigentlich ebenfalls für die Schließung von Tihange sind.

Liebe belgische Landsleute, wenn ihr am 25. Juni Zeit habt, nehmt doch teil an der Menschenkette. Und sei es nur, damit die Deutschen, die auf den sechs Kilometern ihres Kettenabschnittes nicht alle Platz finden werden, auf den 45 Kilometern in unserem Land genügend Belgier finden, denen sie bei der „Kettenreaktion“ die Hand reichen können.