23 Mal tief in die Heimat eingetaucht

Insgesamt dürften mehr als 3.000 Bürger zwischen Juni 2016 und Juni 2018 einer LokalRunde beigewohnt haben. | David Hagemann



Die Initialzündung der Veranstaltungsreihe, deren hausinterner Arbeitstitel durchaus vielsagend „Aktion Dorf“ lautete, erfolgte im Rahmen der Bemühungen des GrenzEcho nach einem größeren Maß an redaktioneller Nähe zu den aktuellen und zukünftigen Lesern. Die Leserschaft sollte die Akteure „ihrer“ Tageszeitung möglichst hautnah kennenlernen. Es sollte allerdings einige Zeit zwischen Idee und Umsetzung vergehen.

Die doppelte Zielstellung lautete, die Zeitung näher an die Leser heranzubringen und im Gegenzug Themen, die bisweilen im redaktionellen Alltag von der Aktualität verdrängt oder überlagert werden, den ihnen zustehenden Platz im GrenzEcho einzuräumen.

Auf dem Weg dahin war es unser Ziel, ein Veranstaltungsformat zu entwerfen, das Geselligkeit und inhaltliche Aussagen unter einen Hut bekommt.

Um die erforderliche Nähe zu erreichen, galt es, eine lokale Größenordnung zu finden, die dies auch wirklich ermöglichte. So fiel die Wahl auf die sogenannten Altgemeinden. Dabei ging es absolut nicht darum, dieses 1976 bei der Gemeindefusion verschwundene Behördenniveau wieder auferstehen zu lassen. Zudem wurde dieser Ansatz nicht wie in Stein gemeißelt angewandt, vor allem in den Stadtgemeinden Eupen und St.Vith.

Von größter Wichtigkeit für den Erfolg der LokalRunden war die jeweils im Vorfeld durchgeführte Telefonbefragung – eine tolle Leistung der Mitarbeiterinnen der GE-Geschäftsstelle. Überhaupt wurde im gesamten Medienhaus am Eupener Marktplatz nicht mit Ressourcen gespart, um diese Tournee durch Ostbelgien durchzuführen.

Innerhalb von zwei Jahren kamen rund 3.000 Haushalte in der Deutschsprachigen Gemeinschaft am Telefon zu Wort und durften so unter dem Schutz der Verschwiegenheit frei von der Leber sprechen. Wie bei den LokalRunden selbst und der damit einhergehenden Berichterstattung wurde in diesen Gesprächen jedoch nicht nur über Sorgen, Beschwerden oder Mängel geredet. Die Vorteile, Trümpfe und Verwirklichungen der Ortschaften zwischen Kelmis und Burg-Reuland wurden keineswegs verschwiegen oder kleingeredet.

Dass fast alle der 23 Veranstaltungen zur Frühschoppenzeit am Sonntagmorgen gleichermaßen informativ wie unterhaltsam verliefen, ist nicht zuletzt das Verdienst der Gesprächspartner: 96 Ostbelgier (siehe dazu auch „Hintergrund“), die sich bereit erklärten, am Mikro und vor einem Saal, in dem oft viele ihnen bekannte Gesichter zu erkennen waren, Rede und Antwort zu stehen. Dafür gebührt ihnen allesamt nochmals unser Dank. Jeder lieferte, so wie ihm der Schnabel gewachsen war, Einblicke in sein Leben und seine Ansichten.

Viele unter ihnen, die ohnehin in der Zivilgesellschaft ihren Mann beziehungsweise ihre Frau stehen, scheuten sich dabei nicht, Positionen zu vertreten, die Widerspruch hervorrufen. Ein zweiter Blick in diese Liste lohnt sich ohnehin: Das eine oder andere Gesicht aus den Reihen der LokalRunde-Gesprächspartnern dürfte im Oktober 2018 oder im Mai 2019 als Kandidaten oder Kandidatin bei Wahlen auf sich aufmerksam machen.

Nach recht bescheidenem Anfang in Möderscheid entwickelte sich die LokalRunde ab der zweiten Auflage in Walhorn zu einer Veranstaltung, der es gelang, ordentlich Besucher anzuziehen. Insgesamt dürften mehr als 3.000 Bürger zwischen Juni 2016 und Juni 2018 einer LokalRunde beigewohnt haben. Unseres Erachtens keine schlechte Resonanz, auch wenn der Zuspruch nicht immer proportional zur Größe der jeweils betroffenen „Altgemeinde“ stand.

Doch wie sieht eigentlich die inhaltliche Bilanz dieser 23 Veranstaltungen aus? Fangen wir an mit einem Lob für die ansonsten so gerne und so oft gescholtene Politikerklasse. Bei allen LokalRunden war die Lokalpolitik, Mehrheit wie Opposition, stets gut vertreten. Doch von Möderscheid bis Mackenbach sowie von Eynatten bis Kelmis wurde unserem Wunsch, vorrangig den Bürger das Wort zu überlassen, Rechnung getragen. Und dennoch spielten sie aus der zweiten Reihe heraus eine wichtige Rolle, in dem sie über den Stand laufender Arbeiten oder geplanter Vorhaben berichteten.

Dass es im Norden wie im Süden der Deutschsprachigen Gemeinschaft nach wie vor so viele Bürger gibt, die sich bedingungslos für ihr Viertel, für ihren Verein, für ihre Dorfgemeinschaft, für ihre Heimat kurzum für ihre Idee des Zusammenlebens einsetzen, stellt ohne Wenn und Aber die wichtigste Erkenntnis dar. Dass diese Bereitschaft immer noch so ungebrochen groß ist, darf als gutes Zeichen für die Zukunft Ostbelgiens gewertet werden.

Diese Feststellung sollte jedoch nicht dazu verleiten, die rosarote Brille nie mehr ablegen zu wollen. Die intensiv gelebte Ehrenamtlichkeit funktioniert nur dann langfristig, wenn sich immer wieder andere und junge Menschen für ein Engagement entscheiden.

Es muss investiert, damit die Weiler, Ortschaften, Dörfer und Kleinstädte eine Zukunft haben und so attraktiv für die jungen Leute bleiben. In diesem Zusammenhang spielt das Wohnen eine extrem wichtige Rolle, die der hiesige Arbeitsmarkt nicht leisten kann: Für den Süden heißt das erschwingliches Bauland, im Norden eher bezahlbare Mietwohnungen. Dafür gilt es, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Keine Option ist es dabei, sich ausschließlich auf Finanzen oder Unterstützung der öffentlichen Einrichtungen zu verlassen.

Letztere Feststellung gilt allerdings nicht für einen anderen Aspekt der ostbelgischen Standortfaktoren: Bei der Ausstattung ländlicher Gebiete mit heutigen Standards entsprechenden Mobilfunk- und Internetanbindungen müssen alle ostbelgischen Instanzen den beziehungsweise die Quasi-Monopolisten in die Pflicht nehmen. Ob dies allerdings zu den gleichen finanziellen Bedingungen möglich gemacht werden, muss abgewartet werden.

Die Existenz einer eher für den DG-Norden zutreffende Aufgabe wurde erwartungsgemäß durch die LokalRunde bestätigt. Wie gehe ich mit den „anderen“ um? Dabei steht die nach wie vor nicht endgültig beantwortete Frage im Raum: Wer sollte den ersten Schritt auf den anderen zu machen oder wessen Hauptaufgabe ist die „famose“ Integration? Das gilt in gleichem Maße für den Umgang mit den aus Deutschland stammenden Neu-Ostbelgiern in den grenznahen Gemeinden wie für die Nicht-EU-Bürger, die sich verstärkt in Eupen und Kelmis niedergelassen haben. Rhetorische Frage: Gibt es eine Alternative zum Mittelweg?

Erlaubt sei mir an dieser Stelle eine persönliche Note: Die mehr als zweijährige Projektleitung war in vielerlei Hinsicht einer der Höhepunkte meiner beruflichen Karriere beim GrenzEcho, nicht zuletzt wegen des menschlichen Aspekts. Es war horizonterweiternd. Der intensive Kontakt zu den Gesprächspartnern und die Auswertung der Telefonbefragung hat die Verbindung zu meiner ostbelgischen Heimat jedenfalls vertieft, ohne sie unkritischer zu machen.

Schließlich drängen sich auch für das GrenzEcho als Lokalzeitung Schlussfolgerungen auf. Sowohl in den Telefonbefragungen im Vorfeld wie den LokalRunden von Ort ließen die Bürger keinen Zweifel daran, dass sie es begrüßen, wenn „ihre“ Zeitung zu ihnen kommt und sie zu Wort kommen lässt. Mehr noch, bisweilen war der Eindruck deutlich zu spüren, dass die Bevölkerung zu lange auf diese Gelegenheit der vorbehaltlosen Kontaktaufnahme hat warten müssen. Diesen Weg sollten wir, als die ostbelgische Tageszeitung, möglichst oft einschlagen. Vor diesem Hintergrund entspricht die Entscheidung der Redaktion, im Vorfeld der Kommunalwahlen vom 14. Oktober in jeder der neun ostbelgischen Gemeinden eine öffentliche Podiumsdiskussion mit Spitzenkandidaten zu organisieren, sicherlich den Erwartungen der Öffentlichkeit. Ob es allerdings eine LokalRunde 2.0 geben wird oder muss, steht auf einem anderen Blatt. Und kleine Randnotiz zum Schluss: Dem hausinternen Zusammenhalt sind solche gemeinsame Anstrengungen zweifelsfrei in hohem Maße zuträglich.

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