Langes „A“ macht die Mürringer langsam

Raymond Andres (links) und Bernard Roehl vor der Mürringer Kirche. Lange Jahre waren die beiden Orte eine Pfarrgemeinschaft - der Altar stand in Mürringen. Das hat den Hünningern nicht immer gepasst. | Petra Förster



Eines sei vorweggeschickt: Andres, der Leiter der Kreativen Werkstatt aus Mürringen, und Roehl, gebürtiger Honsfelder, aber seit 1970 in Hünningen ansässig, haben sich ganz gut vertragen – und viel zu lachen gab es auch. Beide schreiben regelmäßig eine Kolumne in Plattdeutsch für das GrenzEcho – nach Gehör übrigens, denn natürlich gibt es kein Nachschlagewerk, in dem man die Dialektwörter finden könnte. „Ich lese den Text mehrfach durch und mache dann gegebenenfalls noch orthografische Anpassungen“, sagt Raymond Andres.

Viele GrenzEcho-Leser lesen sich selbst die plattdeutschen Kolumnen laut vor.

Viele Leser lesen sich die Texte übrigens auch laut vor, um sie besser zu verstehen. So ist das mit dem Platt, und manche Sachen sind ganz einfach unerklärlich. Warum beispielsweise die Rocherather für das Wort „nur“ die Vokabel „eckig“ benutzen, weiß kein Mensch. Andere Dinge sind nicht so offensichtlich. Ein Auswärtiger beispielsweise wird zwischen dem Mürringer und dem Hünninger Dialekt kaum einen Unterschied hören. Wer in der Altgemeinde lebt, dem fallen sehr wohl die feinen Unterschiede, besonders in der Betonung auf. „In Mürringen ist der langgezogene ‚A‘-Laut typisch“, sagt Raymond Andres – vielleicht könne dies auch eine Erklärung dafür sein, dass den Mürringern immer nachgesagt wird, dass sie so furchtbar langsam sprechen.

„Nein, das liegt daran, dass sie fundierter nachdenken“, gibt Bernard Roehl gleich einen kleinen Seitenhieb aus der Hünninger Ecke. „Sonst kommt ihr nicht nach, wenn wir schneller reden“, kontert Andres – 1:1. Dem Ur-Mürringer machen ein, zwei Witzchen übrigens nichts aus, da kann er getrost mitlachen. Ab dem fünften Witz, wenn jemand wirklich meint, er müsse sich dranhalten, dann wird es allerdings kritisch. „So sind nicht alle Mürringer“, sagt Bernard Roehl. „Dein Vater zum Beispiel, der konnte das gar nicht vertragen.“

Rivalität zwischen Hünningen und Mürringen hat ihren Ursprung schon im Mittelalter.

Ansonsten kann der Mürringer an sich schon ganz gut über sich selbst lachen: Der örtliche Fußballclub heißt Rapid, die jährliche Kappensitzung der KG beginnt etwas später um 20.11 Uhr und hat meist in mehreren Beiträgen die Eigenheiten der Dorfbewohner zum Thema.

Wo die Witze über die Langsamkeit der rund 750 Einwohner genau ihren Ursprung haben, weiß niemand ganz genau. Bei der Rivalität zwischen Mürringen und Hünningen ist das anders.

Die hat ihren Ursprung wohl im Mittelalter, erklären Raymond Andres und Bernard Roehl. Mürringen war seinerzeit im Gegensatz zu den anderen Orten eine Freiherrschaft, die – wie es damals hieß – über Hals und Bauch entscheiden konnte, d.h. die Gerichtsbarkeit innehatte.

Es sollte noch schlimmer kommen. Im 19. Jahrhundert wurden mehrere Orte zu Pfarrgemeinschaften zusammengeschlossen, so auch Mürringen und Hünningen. Hauptort wurde Mürringen und damit stand dort auch der Altar. „Damit waren die Hünninger nie ganz einverstanden“, sagt Raymond Andres.

Alle großen Kirchfeste wurden in Mürringen gefeiert, auch zur Beichte mussten die Christen aus den anderen Orten hierher kommen. Und noch aus den 1960er Jahren ist überliefert, dass nach der Messe die Fäuste flogen, sobald der Herr Pastor sich herumgedreht hatte.

Regelmäßig soll es zwischen Mürringer und Hünninger Jugendlichen handfeste Auseinandersetzungen gegeben haben. Inzwischen ist dies natürlich längst Geschichte. Vor zwei Jahren als Pastor Hermann Pint in Rocherath sein goldenes Priesterjubiläum gefeiert hat, standen die „Prügelknaben“ von damals gemeinsam auf der Bühne und haben ihm ein Ständchen gesungen. „Ja, schon oft haben die beiden Gesangvereine gemeinsam auf der Bühne gestanden“, berichtet Bernard Roehl. Die Proben vor den Auftritten seien immer besonders gesellig und dauern oft sehr, sehr lange, erzählt er.

Denn vor allem in Hünningen sind viele Pensionäre im Gesangverein aktiv – und die können am nächsten Morgen ruhig ein bisschen länger schlafen.

Allerdings hat dies auch den Nachteil, dass es – besonders in Hünningen – an Nachwuchs mangelt. „In Mürringen geht es noch“, sagt Roehl, „die haben einige junge Sänger“.

Eine Fusion der beiden Vereine sei seiner Meinung nach nicht abwegig und stehe – wie in vielen anderen Ortschaften bevor. Das ist bei allen Sticheleien heute überhaupt kein Problem mehr. Apropos Gesangverein, dazu haben die älteren Mürringer eine schöne Anekdote: Früher hieß es im Ort, man solle sonntags in Honsfeld und in Mürringen in die Messe gehen und dann entscheiden, wo langsamer gesungen wird. Die überraschende Antwort: in Honsfeld. „Jetzt sag‘ nicht wieder, das ist nur, weil der Dirigent aus Mürringen kommt“, sagt Raymond Andres zu Bernard Roehl. Der lacht und kennt den wahren Grund: „Der Küster in Honsfeld war seinerzeit sehr langsam und musste jede einzelne Note vom Blatt ablesen“ – er war aber kein Mürringer.

Hünninger sind als Steinböcke bekannt, die Büllinger als Windbeutel.

Im übrigen seien Rivalitäten zwischen benachbarten Orten durchaus normal, man denke nur an Köln und Düsseldorf, Bütgenbach und Elsenborn und… Büllingen und die umliegenden Dörfer. Denn in einem Punkt ist man sich in den vier Dörfern (Büllingen, Honsfeld, Hünningen und Mürringen) der Altgemeinde einig: Die Büllinger, das sind die „hochnäsigen Windbeutel“, die schicken Geschäftsleute. Den Hünninger Steinböcken wird im Volksmund zugeschrieben, gerne mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Die Honsfelder werden „Vennknöpp“ genannt, wohl weil früher Wollgras mit dem typischen weißen Wollschopf rund um die Ortschaft wuchs.

Steinböcke, Vennknöpp, Windbeutel und die Liebecker – so werden die Mürringer auch im Volksmund genannt – werden wohl am kommenden Sonntag bei der GrenzEcho-Lokalrunde im Saal Concordia zusammenkommen und in zwangloser Runde über Themen austauschen, die sie im Alltag betreffen.

Gesprächspartner der GrenzEcho-Redakteure Arno Colaris und Jürgen Heck sind der frühere Schulleiter Alfred Rauw aus Mürringen, der in Büllingen lebende Hünninger Historiker Carlo Lejeune und Edgard Wagener, Präsident der IG Büllingen. Mal sehen, wer dann am schnellsten spricht…

Lokalrunde im Saal Concordia Hünningen am Sonntag, 18. September, um 11 Uhr.