Bauerntagung: Absolute Transparenz als einziger Weg

Bei der diesjährigen Bauerntagung des Verbandes der deutschsprachigen Landwirte in Walhorn referierte der Kommunikationsexperte Prof. Dr. Ulrich Nöhle (Zweiter von rechts). Seine Kernaussage: Die Landwirte müssen dafür Sorge tragen, dass es nichts zu enthüllen gibt. | Veranstalter

Antworten auf diese Fragen lieferte der Kommunikationsexperte Prof. Dr. Ulrich Nöhle auf der Bauerntagung in dieser Woche in Walhorn. Seine Kernaussage: Die Landwirte müssen dafür Sorge tragen, dass es nichts zu enthüllen gibt. Dass bestehende Missstände abgestellt werden, reicht dabei aber nicht aus. Vielmehr müssten Landwirtschaft und Landwirte auch an die Öffentlichkeit gehen, um die Realität auf ihren Betrieben und die Produktionsumstände ihrer Erzeugnisse ungefragt und ungeschönt und für alle sichtbar darzulegen.

Dr. Nöhle ging zunächst der Frage nach, was ein Skandal ist. Dazu holte er weit aus und durchleuchtete als erstes unser Unterbewusstsein. Seine Erkenntnis: Der Mensch ist ein Kind der doppelten Moral; er predigt Wasser und säuft Wein. Dieser Doppelmoral sei fester Bestandteil des täglichen Verhaltens eines Jeden. Weshalb sollte es sich die Werbung nehmen lassen, sich unseren Hang zur Doppelmoral zunutze zu machen, um uns als Verbraucher gezielt anzusprechen?

Das zweite Element im Hinblick auf die Definition eines Skandals betrifft die Deutungshoheit oder Richtlinienkompetenz in einer Gesellschaft: Wer bestimmt, was richtig oder falsch ist, was gut oder schlecht, was sein darf und was nicht? Lange Zeit war es in unserem Kulturkreis die (katholische) Kirche, die diese Richtlinienkompetenz innehatte. Diese Rolle wurde ihr im 18. Jahrhundert allmählich durch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften entrissen, die die Welt mit Naturgesetzen erklärten. An die Stelle des Glaubens trat die Ratio, die Vernunft.

Und heute? „Heute“, so Nöhle, „heute geht uns so gut, dass wir die Wissenschaft und den Fortschritt nicht mehr brauchen. Wir fangen an zu zweifeln.“ Und mit den sozialen Medien steht uns ein Mittel zur Verfügung, diese Zweifel schnell in alle Welt zu streuen, wo sie ohne jegliche Prüfung zur Tatsache, zur Wahrheit erhoben werden. Mit anderen Worten: Die (sozialen) Medien haben heute die Deutungshoheit. Sie machen die Gesetze. Sie bestimmen, was sein darf und was nicht. Sie setzen die bisher gültigen Normen und sogar Gesetze und wissenschaftliche Wahrheiten außer Kraft. „Früher brachte der Bischof unliebsame Schreiblinge auf den Scheiterhaufen; heute nageln die Schreiblinge die Bischöfe an die Wand“, so Nöhle. Sein Zwischenfazit: „Wir sind eine Mediengesellschaft, der sich auch die Landwirtschaft nicht entziehen kann.“

Unsere Doppelmoral bedingt, dass wir uns über gewisse Zustände empören, entrüsten. Dabei ist zu unterscheiden zwischen legitimer Empörung (z. B. über Verstöße gegen bestehende Gesetze) und künstlicher Aufgeregtheit über etwas „Gefühltes“, das uns in unserem persönlichen moralischen Gefühl verletzt oder unserem Weltbild zuwiderläuft. Und hier kommt unsere Doppelmoral ins Spiel, die uns daran hindert, zwischen träumerischer Erwartung und Wirklichkeit zu unterscheiden – beide verschwimmen. Wenn es gelingt, größere (oder kleinere, aber lautstarke) Teile der Gesellschaft mit seiner Entrüstung anzustecken, entsteht der Skandal. Der Ansteckungsweg ist heutzutage einfach: Man bedient sich der (sozialen) Medien, um seiner Doppelmoral freien Lauf zu lassen und löst so einen Sturm der Entrüstung im Sinne eines moralischen Gefühls aus, kurzum: einen Skandal.

Werbung spricht den „Bauch“ der Verbraucher an. Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung haben sich aber derart weit von diesem „Bauch“ entfernt, dass sie für den Bürger nicht mehr nachvollziehbar sind. Wer also weiterhin dem Bauch schmeichelt (d. h. die Doppelmoral der Verbraucher anbiedert, indem er idyllisiert), bietet Kritikern eine Angriffsfläche. Der gefühlte Skandal entsteht dann, wenn man feststellt, dass die Wirklichkeit anders ist, als man sie sich vorgestellt hat. „Träumerische Erwartungen, die wir selber in ihm generieren, führen den Verbraucher in die Irre. Wenn er dann mit der Realität konfrontiert wird, schreit er ‚Skandal‘“, so der Honorarprofessor. Um das zu verhindern, gebe es nur einen Weg, so Nöhle: absolute Transparenz – und zwar aus eigener Initiative und nicht erst auf Nachfrage!

Das Fazit von Prof. Dr. Ulrich Nöhle an die Adresse der Landwirte: „Sie haben die Wahl: Früher haben Sie Lebensmittel produziert und auf besondere Nachfrage einige Informationen zu den Produktionsumständen nachgeliefert. In Zukunft werden Sie Informationen produzieren. Wenn diese Informationen korrekt und transparent sind und von der medialen Öffentlichkeit verstanden werden, dann dürfen Sie Lebensmittel nachliefern. Wenn Ihnen das nicht gelingt, dann werden sie von Ihrem Abnehmer, dem Handel oder vom Verbraucher ausgelistet.“