Zaudern statt Zauber

Die Union hat sich für Regierungssondierungen mit der SPD ausgesprochen, aber de facto nur über eine große Koalition. Das klare Votum setzt SPD-Chef Martin Schulz (Bild) unter Druck. | afp

„Die Vertreter von CDU und CSU haben deutlich gemacht, dass sie gemeinsam mit der SPD Sondierungen zur Bildung einer stabilen Regierung aufnehmen wollen“, heißt es nach dem ersten Spitzengespräch bei Würstchen und Brötchen im Bundestag. Die Blicke von Kanzlerin Angela Merkel und Schulz sind ernst, keine Statements. Der Satz hört sich wie das Selbstverständlichste der Welt an, CDU-Chefin Merkel möchte nach dem Jamaika-Debakel, ihren gescheiterten Sondierungen mit FDP und Grünen, nun mit der SPD zügig eine „stabile Regierung“ bilden. Alle Äußerungen von führenden CDU/CSU-Politikern machen deutlich, dass mit „stabile Regierung“ für die Union nur eins gemeint ist: Eine erneute große Koalition.

Gut möglich, dass es diese Regierung dann schon bei der Aufstellung des Bundeshaushalts mangels Mehrheit platzen würde.

In der SPD-Spitze herrscht am Donnerstag Schweigen, aber die SPD-Linke macht mobil, dass eben nicht nur darüber verhandelt wird. Bremens Regierungschef Carsten Sieling sieht in der Tolerierung einer Minderheitsregierung Merkels das tragfähigste Modell für eine Zusammenarbeit mit CDU/CSU. „Kooperieren ja, aber nicht heiraten.“

Vielleicht war es ein weiterer strategischer Fehler von Schulz, dem SPD-Parteitag vor einer Woche „ergebnisoffene Gespräche“ mit der Union vorzuschlagen – weil es massiven Druck des linken Parteiflügels gab, nicht nur über eine „GroKo“ zu verhandeln. Sondern auch über eine Minderheitsregierung – Merkel müsste sich dann aber bei jedem Gesetz Mehrheiten suchen, um es im Bundestag durchzubekommen. Gut möglich, dass es diese Regierung dann schon bei der Aufstellung des Bundeshaushalts mangels Mehrheit platzen würde.

Und Schulz sollte auf Wunsch der Partei eine Kooperationskoalition („Koko“) in den Gesprächen mit Merkel thematisieren, bei der die SPD zwar wie die Union Minister in der Regierung stellt, aber nur auf bestimmten Feldern kooperiert, wie beim Bundeshaushalt und Auslandseinsätzen. Bei anderen Themen könnte sie dann auch mit anderen Parteien eigene Projekte durchsetzen. Mit dem Projekt könnte man das Trauma bekämpfen, in einer „Groko“ nur als Anhängsel Merkels wahrgenommen zu werden – und mehr klare Kante und Profil zeigen.

Schulz droht in die Falle zu laufen, die er und die gesamte Spitze sich selbst gestellt haben. Ihnen schlug beim Parteitag Misstrauen entgegen, von einem abgekarteten Spiel war die Rede – die Führung rede von „ergebnisoffen“, wolle aber nur über die „Groko“ verhandeln. So entsteht der Eindruck, die „ergebnisoffenen Verhandlungen“ seien fast so wichtig wie die Inhalte. Und da Schulz hier nach der klaren Ansage nicht liefern kann, macht es die Lage für die schlingernde SPD noch unkalkulierbarer.

Nach dem Vorstand und ersten Sondierungen müsste Mitte Januar ein Sonderparteitag grünes Licht geben für konkrete Verhandlungen. Der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel schaffte 2013 mit dem Bugsieren der Partei in Richtung der ungeliebten „GroKo“ sein Meisterstück – er hält Schulz nun vor, nicht richtig zu führen.

Es war von vornherein klar: es ist kein Anfang, dem ein Zauber innewohnt, aber so viel Zaudern und Zweifel? Merkel würde gerne aufs Tempo drücken. Sie selbst hatte der SPD vor Wochen attestiert, regierungsunfähig zu sein, als es noch nach Jamaika aussah. Heute dürfte sie diese Worte bereuen, weil sie die Operation „GroKo“ nicht einfacher machen. Doch bei einer vorgezogenen Neuwahl müsste gerade die SPD fürchten, für den Schlingerkurs abgestraft zu werden.

Merkel muss warten. Am Donnerstagmorgen wiederholt sie in einer kurzen Telefonschalte mit ihrem Parteivorstand nach Angaben von Teilnehmern lediglich das dürre Statement vom Vorabend. Auch wenn die Worte „große Koalition“ dort nicht vorkommen, soll jedem in der SPD klipp und klar sein, dass die Union nicht für Wackelspielchen à la „Kooperations-Koalition“ zur Verfügung steht. Die Formulierung, man wolle mit der SPD „Sondierungen zur Bildung einer stabilen Regierung aufnehmen“, schließt andere, von der SPD genannte Varianten aus. Parteivize Julia Klöckner mahnt, sich jetzt bitteschön öffentlich zurückzuhalten und abzuwarten, was die SPD entscheide. Was noch hinter den knappen Sätzen vom ersten Spitzentreffen steht, sagt am Donnerstag Saar-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) der „Wirtschaftswoche“: „Aus Sicht der CDU könnte und sollte es konzentrierter und schneller gehen.“ Schließlich werde auch wegen der Probleme in der EU eine Bundesregierung mit klarem Mandat gebraucht.

Die Union will auch angesichts der internationalen Lage nicht noch einmal wie bei Jamaika die nächsten Wochen ergebnisoffen hin und her sondieren – um dann vielleicht Ende Januar festzustellen: es geht doch nicht. Halbschwanger geht nicht, schallt es aus der Union, von der SPD als „Krabbelgruppe“ und von Therapiebedarf ist die Rede.

Mit der dürren Erklärung zur „stabilen Regierung“ hat die Union quasi eine rote Linie gezogen. Zwar will sich Schulz an diesem Freitag bei Präsidium und Vorstand grünes Licht für Sondierungen holen. Und zwar offiziell weiter ergebnisoffen.

Aber längst ist klar, die Union will nur über eine feste große Koalition verhandeln. Damit gerät Schulz bei den Genossen in Erklärungsnot, wie er die Versprechen zu allen Seiten einlösen und parallel mit CDU/CSU eine Lösung finden will. Kleine Randentwicklung in der Endlos-Story „Deutschland sucht eine Regierung“: Trotz des mehrfachen Neins von FDP-Chef Christian Lindner schließt dessen Stellvertreter Wolfgang Kubicki im „Focus“ einen Jamaika-Neuanlauf nicht aus, wenn die Gespräche zwischen Union und SPD scheitern. „Eine alte Kommandeursweisheit lautet: Wenn eine neue Lage da ist, muss man sie neu bewerten“, meint Kubicki vielsagend. (dpa)