Wolfgang Schäuble sagt der Finanzwelt „Bye-Bye“

In Washington ist Wolfgang Schäuble (Bildmitte) in diesen Oktober-Tagen abermals nicht nur als der erfahrene Politprofi und dienstälteste Finanzminister der Top-Wirtschaftsmächte gefragt. | afp

Das Jahrestreffen von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in der US-Hauptstadt hatte noch gar nicht richtig angefangen, und das Abendessen der G20-Finanzminister der Top-Wirtschaftsmächte stand am Donnerstag auch noch aus. Aber für den scheidenden deutschen Kassenwart gab es schon ein Lob der Superlative: Schäuble sei „ein Fels“ gewesen, „ein Gigant – unglaublich solide“, ließ IWF-Chefin Christine Lagarde die Presse überschwänglich wissen. Sie sei traurig, dass „Freund Wolfgang“ gehe.

Einen kleinen Seitenhieb ließ sich die polyglotte frühere Finanzministerin Frankreichs nicht nehmen – jedoch nicht auf Schäuble, sondern auf den Berliner Politikbetrieb und so manchen Missklang zwischen dem Finanzminister und Kanzlerin Angela Merkel. Wie immer diplomatisch fein verpackt, fügte Lagarde hinzu: „Ich freue mich, dass er es geschafft hat, so lange zu bleiben, weil ich bei einigen Gelegenheiten dachte, dass er so viel auf sich nimmt.“

Von diesen „Gelegenheiten“ gab es einige. In der Euro- und in der Flüchtlingskrise lagen Schäuble und Merkel mehrfach über Kreuz. Im Griechenland-Streit war er 2015 schon bereit, alles hinzuschmeißen.

Was Wasser auf die Mühlen derer ist, die den Wechsel Schäubles aus dem Finanzministerium an die Spitze des Bundestagspräsidiums nun als erzwungenen Abschied sehen. Dass er am 24. Oktober als Chef des Parlaments und damit für das zweithöchste Amt im Staat kandidiert, wird auch als letzter Dienst des stets loyalen Schäuble für die CDU-Vorsitzende Merkel gewertet.

Damit für die ohnehin schwierigen Verhandlungen über ein Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen ein Stolperstein aus dem Weg geräumt ist – weil die Liberalen dann das mächtige Finanzressort übernehmen dürften. Ihm selbst passt die Lesart vom angeblich erzwungenen oder erbetenen Abschied natürlich nicht.

Wer Schäuble auf seiner Abschiedstour erlebt, kann einen Politiker beobachten, der vermitteln möchte, mit sich im Reinen zu sein. Jemanden, der darauf Wert legt, dass dieser Abschied allein seine Entscheidung gewesen sei. Und dass dieser Entschluss kein Teil irgendeines größeren Koalitions-Puzzles ist. Glaubt man dem Umfeld Schäubles, hat der 75-Jährige schon vor der Bundestagswahl am 24. September entschieden, sich aus dem Kabinett zurückzuziehen – nach Absprache mit der Familie. Lange gereift sei dieser Entschluss, heißt es nun. „Acht Jahre als Finanzminister sind genug“, lässt Schäuble auch Finanzmanager auf einer Veranstaltung am Rande der IWF-Tagung in Washington wissen. Was einiges Gemurmel unter den Zuhörern auslöste. Schäuble, so wird gestreut, habe sich das nicht vier weitere Jahre antun wollen. Nicht überall auf der Welt war er beliebt. In Griechenland, wo viele ihn als extreme Reizfigur und Urheber schmerzhafter Sparmaßnahmen sehen, heißt es, man sei froh, dass er nun Geschichte sei.

Die Frage, ob sich Schäuble „das antun muss“, begleitet ihn nicht erst im Alter. Eigentlich steht sie schon seit dem Attentat von 1990 im Raum, das ihn für das restliche Leben an den Rollstuhl band.

Seine Antwort hat er in den vergangenen 27 Jahren gegeben: Der Jurist Schäuble war Fraktions- und Parteichef sowie Innen- und Finanzminister. Politik ist sein Leben – trotz einiger Enttäuschungen für den einstigen Beinahe-Kanzler und Fast-Bundespräsidenten.

In Washington ist Schäuble in diesen Oktober-Tagen abermals nicht nur als der erfahrene Politprofi und dienstälteste Finanzminister der Top-Wirtschaftsmächte gefragt. Er ist auch ein beliebter Redner: gewitzt, geistreich – und auch sehr direkt und wenig verschwurbelt. Er konnte in der Vergangenheit bei öffentlichen Auftritten aber auch gemein sein – mit reichlich Spitzen gegen die eigenen Leute. Nach acht Jahren an der Spitze des Finanzressorts ist Schäuble lockerer und entspannter. Er kokettiert nun noch häufiger mit seinem Alter und dem badisch beeinflussten, etwas schrägen Englisch. Seine Schlussrunde in Washington nimmt Schäuble gelassen. Für ihn scheint sie fast ein wenig nervig und anstrengend. Denn er weiß, wie viel nette und überschäumende Worte bei solchen Abschiedstreffen fallen.

Die Frage, ob sichSchäuble „das antun muss“, begleitet ihnnicht erst im Alter.

Im kleinen Kreis frotzelt er, dass sein Weggang ja durchaus auch ein Beitrag zum geforderten Abbau der hohen Handelsbilanz-Überschüsse sei. Schäuble hatte sich all die Jahre bei den G20- und IWF-Treffen gegen Kritik gewehrt und staatliche Eingriffe gegen das Handelsplus abgelehnt. Mit dem Rückflug aus Washington ist Schäubles Karriere als Finanzminister und Regierungspolitiker praktisch beendet, auch wenn sein letzter Arbeitstag im Ministerium voraussichtlich der 23. Oktober sein wird. Schäuble weiß, dass es nach dem IWF-Trip vorbei ist – und zitiert selbst noch mal seinen berühmten badisch-englischen Spruch aus der Griechenland-Krise: Dann „isch over“. (dpa)