Weg mit der Wahrheit? Wechselkurse von der Straße verbannt

Seit einigen Tagen gilt ein solches Verbot - und nun verschwinden diese mit Zahlen gespickten Schilder mehr und mehr aus dem Sichtfeld der Russen. Offiziell wollen die Behörden mit dieser Regelung illegale Wechselstuben bekämpfen. Kritiker glauben, dass damit der Zustand der schwachen Wirtschaft versteckt werden soll.

Noch blinken die Kurse von Dollar und Euro hin und wieder an den Straßen auf. Künftig sollen die Menschen aber nur noch in Banken erfahren, wie viel der Rubel wert ist. Die Kreditinstitute selbst dürfen die Wechselkurse auch nicht mehr außen an ihren Fassaden anzeigen. In Zeitungen, auf Online-Portalen oder in Apps können sie aber nach wie vor nachgelesen werden. Die russische Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ spottete deshalb: „Dieses Verbot ist nicht effektiv (...), es gibt ja noch das Internet.“ Für den Präsidenten des russischen Bankenverbands, Anatoli Aksakow, ist dieser Schritt jedoch längst überfällig gewesen. Russische Medien zitierten ihn mit den Worten, die Schilder an den Straßen hätten in der Bevölkerung „eine falsche Meinung über die Situation der Wechselkurse“ abgebildet. Nun müssten sich die Menschen nicht mehr „zwanghaft auf Fremdwährungen konzentrieren“.

Finanzexperte Alexej Mamontow sieht das differenzierter: „Moskau ist ein riesiges Touristenzentrum, und es ist für Touristen viel bequemer, die Kurse der Wechselstuben auf der Anzeigetafel zu sehen.“ Sanktionen der USA und EU - unter anderem wegen der Ukraine-Krise und des Giftanschlags auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal - setzen die Wirtschaft seit längerer Zeit unter Druck. Mehrere russische Zeitungen rechneten aus, dass der Rubel im vergangenen Jahr zum US-Dollar um 20 Prozent an Wert verloren hat, zum Euro um 14 Prozent. „Für die Bevölkerung bedeutet die Rubelschwäche nur eines: eine Erhöhung der Preise in den Geschäften“, analysierte die Zeitung „Nowaja Gaseta“. Erst mit Jahresbeginn ist die Mehrwertsteuer von 18 auf 20 Prozent angehoben worden. Auch Kraftstoff-Produzenten müssen mehr Steuern zahlen. Es wird damit gerechnet, dass Autofahrer am Ende tiefer in die Tasche greifen müssen. Deutsche Firmen in Russland sind besorgt. Einer vor Weihnachten veröffentlichten AHK-Umfrage zufolge rechnen sie damit, dass sich die russische Konjunktur in diesem Jahr eintrübt. Sie sehen den schwachen Rubel als größten Störfaktor für ihr Geschäft, weil deutsche Ausfuhren nach Russland so teurer werden.

Kremlchef Putin hatte bei einem Treffen mit deutschen Firmenbossen im Spätherbst angekündigt, mehr ausländische Investoren ins Land locken zu wollen und so die Wirtschaft anzukurbeln. Zu beobachten ist, dass Russland seit Längerem versucht, sich vom Dollar zu lösen und Geschäfte in Rubel oder anderen Währungen abzuwickeln. „Wir haben unsere Investitionen in US-Staatsanleihen stark reduziert“, erklärte Ministerpräsident Dmitri Medwedew jüngst. Dies sei eine Folge der „aggressiven und offen gesagt oft dummen US-Wirtschaftspolitik“. Bis Ende Oktober vergangenen Jahres war die Wirtschaft um 1,7 Prozent gewachsen. Der Chef des russischen Rechnungshofs, Ex-Finanzminister Alexej Kudrin, meinte im November, die Wirtschaft seines Landes sei in den vergangenen Jahren in ein „Stagnationsloch“ gefallen. Mit dem Verbot der leuchtenden Wechselkurs-Zahlen an den Straßen soll den Russen diese Wahrheit über den Zustand der Konjunktur nicht mehr so leicht vor Augen geführt werden, wie mehrere Psychologen bei einer Umfrage der Zeitung „Otkrytaja Gaseta“ sagten. Die Menschen würden ohne diese Anzeigetafel ruhiger leben. „Natürlich werden in den Fernsehnachrichten Wechselkurse angekündigt, aber fast niemand beachtet sie. Die Anzeigetafeln sind kaum zu übersehen.“

In Kommentaren im Internet wird spöttisch bemerkt, das Verbot sei eine Art Psychotherapie, die die Russen mit dem neuen Jahr von ihrer Regierung verschrieben bekommen hätten. Der nächste Schritt könnte sein: „Sie verbietet Preisschilder in den Geschäften.“ (dpa)