„Vertical Farming“: Zauberworte der Licht-Industrie

Verschiedene Salate und Kräuter wachsen unter LED-Lampen im Labor der Firma Agrilution. Kann sich das „Vertical Farming“ eines Tages in der Landwirtschaft durchsetzen? | Sven Hoppe/dpa

Blick in eine nicht allzuferne Zukunft: In riesigen Gewächshäusern wachsen auf mehreren Ebenen Tomaten, Erdbeeren und Salat über langen Reihen von medizinischen Cannabis-Pflanzen. Die Wurzeln stecken nicht in der Erde, sondern in wiederverwendbaren Kunststoffmatten. Sensoren überwachen den Wachstumsprozess. Nicht verbrauchtes Wasser wird gesammelt und wieder verwendet, ebenso der Dünger. Kein Sonnenstrahl dringt in die Räume. Stattdessen Millionen LED-Leuchten.

Weniger Platz undweniger Energie, aber mehr Ertrag bei garantierter Frischebis zum Teller

In kleinerem Maßstab sind solche Formen des Obst- und Pflanzenanbaus schon heute Realität. Beim sogenannten Vertical Farming wachsen die Pflanzen auf mehreren Ebenen mit speziell angepasster Beleuchtung. So lässt sich platzsparend und energieeffizient der Ertrag steigern – bei garantierter Frische bis zum Teller. Die alles entscheidende Rolle spielt dabei das Licht. Das hat auch die Industrie verstanden. Es lockt ein Milliardenmarkt.

„Wir stehen da noch ziemlich am Anfang der Entwicklungskurve“, sagt Timo Bongartz, Leiter des Bereichs Smart Farming beim Licht-Riesen Osram in München. Inklusive Zukäufe befassen sich für den Konzern inzwischen bis zu 200 Mitarbeiter mit dem Thema. Die Analysten des Marktforschungsunternehmens Navigant rechnen damit, dass der LED-Markt für Agrar-Anwendungen in den kommenden Jahren von derzeit rund 800 Millionen auf rund 3,7 Milliarden Dollar im Jahr 2027 ansteigen wird. Spätestens 2020 wird er auch aus Sicht anderer Marktanalysten die Milliarden-Dollar-Marke geknackt haben.

Denn das Potenzial von Leuchtdioden in Landwirtschaft und Gartenbau ist riesig. Über verschiedene Lichtspektren können sie den Wachstumsprozess von Pflanzen verlangsamen oder beschleunigen, den Geschmack und die Größe der Früchte steuern – ohne Gentechnik, ohne Chemie.

Bongartz spricht von „Lichtrezepten“, die von Pflanze zu Pflanze unterschiedlich ausfallen – je nachdem, was gewünscht ist. Mit klassischen Gewächshäusern, in denen das Gemüse am Boden steht und von weit oben mit großen, energieintensiven Strahlern angeleuchtet wird, hat das nicht mehr viel zu tun. Vertikale Farmen erinnern mehr an einen Science-Fiction-Film. Damit sie eines Tages Alltag werden, ist die Industrie angewiesen auf Menschen wie Max Lössl.

„Wenn man die Anwendung von LEDs beim Vertical Farming mit der Entwicklung der Computertechnologie vergleicht, dann befinden wir uns derzeit wohl etwa in den 70er Jahren“, sagt der 29-Jährige, der gemeinsam mit seinem Freund Philipp Wagner vor fünf Jahren die Firma Agrilution in München gegründet hat. Sie und ihre derzeit 24 Mitarbeiter entwickeln und produzieren Vertikale Farmen für die eigene Küche.

Wie kleine Kühlschränke sehen sie aus – und in etwa so viel verbrauchen sie auch. Auf zwei Ebenen können die Kunden in der eigenen Wohnung Salat, Tomaten oder Petersilie anbauen und ernten. Die LED-Leuchten in den Schränken stammen von Osram, der Konzern ist an dem Start-up beteiligt. Was die beiden Gründer im kleinen ausprobieren, soll dabei helfen, die Technik auch im großen Maßstab anzuwenden.

Deshalb sammeln Wagner und Lössl so viele Daten wie möglich. Welches Licht welchen Geschmack erzeugt, welche Spektren dafür sorgen, wie schnell eine Pflanze wächst, wann sie reif ist, wie groß oder klein ihre Früchte sind – all das ist Gegenstand ihrer Forschung.

„Das Problem sind derzeit noch die Kosten“, sagt Lössl. Zwar hat sich die Effizienz von LED-Leuchten und auch ihr Preis in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Aber damit sich Smart Farming im großen Stil lohnt, müssen sie noch günstiger und energieeffizienter werden.

Die Licht-Industrie schielt dabei weniger auf den europäischen als auf den weltweiten Markt, insbesondere auf den in den USA. Denn hier legalisieren immer mehr Bundesstaaten Cannabis sowohl zu medizinischen als auch zu rekreativen Zwecken. „Die Cannabis-Blüte hat extrem viele Inhaltsstoffe, die durch Licht beeinflusst werden können“, sagt Bongartz, der Innovationsbeauftragte von Osram.

„Im Zusammenspiel mit anderen Umweltfaktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Kohlenstoffdioxid können wir das Pflanzenwachstum ideal steuern.“ Viele selbst ernannte Hobby-Gärtner dürften auf diesem Gebiet bereits umfangreich Erfahrung gesammelt haben. Auch in Europa wird die Pflanze für medizinische Zwecke verwendet, die Legalisierung ist ein breit diskutiertes Thema. Für die Industrie sind das vielversprechende Aussichten. (dpa)