Überlinger Flugzeugabsturz jährt sich zum 15. Mal

Eine Stahlkugel oberhalb von Überlingen am Waldrand. Die zerrissene Perlenkette, wie das Kunstwerk der Gedenkstätte heißt, erinnert an den Flugzeugabsturz. Damals waren beim Zusammenstoß von zwei Flugzeugen 71 Menschen ums Leben gekommen. | Felix Kästle/dpa

Volkmar Weber ist gerade auf dem Rückweg von einem Urlaub an der Nordsee, als ihn ein Anruf erreicht. „Mein Hauptamtsleiter berichtete mir von einem Knall, den er gehört hatte“, erzählt der 68-Jährige, der zum damaligen Zeitpunkt Bürgermeister der Stadt Überlingen am Bodensee war. Beide gehen zunächst von einem Unglück mit Sportflugzeugen aus. „Doch dann hat sich das sehr schnell konkretisiert, dass etwas Größeres passiert sein muss.“ Als Weber nachts um zwei Uhr schließlich in Überlingen ankommt, ist die tragische Dimension des Absturzes erkennbar: Am 1. Juli 2002, um kurz vor Mitternacht, ist ein Passagierflugzeug mit einer Frachtmaschine über der Stadt zusammengestoßen – alle 71 Insassen sind tot.

Im Kontrollzentrum sitzt ein Fluglotse, derallein für den Luftraum über Süddeutschland zuständig ist.

In den Stunden danach kommen weitere Details ans Licht. Unter den Opfern sind mehrere Dutzend Schulkinder. Sie stammen aus der russischen Teilrepublik Baschkortostan – und wollten zwei Wochen Urlaub in Spanien machen. An Bord des Frachtflugzeugs waren ein britischer und ein kanadischer Pilot. Auch sie werden bei dem Absturz getötet. Das Unglück – so wird die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) 2004, rund zwei Jahre später, in ihrem Abschlussbericht feststellen – geht auf technische Mängel und menschliche Fehler bei der Schweizer Flugsicherung Skyguide zurück.

Beide Flugzeuge fliegen um 23.30 Uhr auf 36.000 Fuß (11.500 Meter) Höhe über dem Boden. Bei Überlingen am Bodensee sollen sich ihre Wege kreuzen. Im Zürcher Kontrollzentrum sitzt in diesem Moment ein Fluglotse, der allein für den Luftraum über Süddeutschland zuständig ist und dessen Radar und Telefon wegen Wartungsarbeiten nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Dass ein Unglück droht, bemerkt der Mann zu spät. Um 23.35 Uhr und 32 Sekunden kollidieren die Flugzeuge. Der Lotse, der den folgenschweren Fehler machte, wird später ebenfalls getötet. 2004 ersticht ihn einer der Hinterbliebenen, der bei dem Absturz Frau und Kinder verloren hat.

Nach dem Zusammenstoß stürzen Wrackteile über dem nordwestlichen Bodenseeufer ab, die Trümmer liegen kilometerweit um Überlingen verstreut. Das Unglaubliche in all dem Unglück: Die Stadt bleibt verschont, am Boden gibt es keine Verletzten. Wären die Flugzeuge nur wenige Hundert Meter weiter südlich zusammengestoßen, wären die Altstadt und auch das Krankenhaus betroffen gewesen, sagt Weber. „Es ist gar nicht auszumalen, was da hätte passieren können.“ Für die mehr als 1.000 Einsatzkräfte, die nach Wrackteilen und Opfern suchen, bietet sich im Morgengrauen ein furchtbares Bild: Zerfetzte Körper, Teile von Toten, hier ein Turnschuh, dort eine Tasche liegen verstreut um ausgebrannte Flugzeugteile. Ein Feuerwehrmann, der damals mithalf, erzählte Jahre später, er habe sich angesichts der verstreuten sterblichen Überreste von Opfern immer wieder gefragt, was für einen Sinn das habe. Ein paar Meter neben ihm stand damals ein Seelsorger, mit dem er ins Gespräch kam. „Er hat mir gesagt: Das ist ungeheuer wichtig, was ihr da macht. Ihr gebt den Toten ihre Würde zurück, ihr helft den Angehörigen.“ Ex-Bürgermeister Weber sagt, er habe damals gar keine Zeit gehabt, das Geschehene zu reflektieren. „Man ist in dem Moment gefordert, muss Entscheidungen treffen. Das Stück Besinnung, das kommt erst später. Bei mir war das, als die Angehörigen der Opfer am 4. Juli hier eintrafen und dieses unsägliche Leid ganz, ganz deutlich wurde.“ Seitdem sind 15 Jahre vergangen. „Es gab damals die Befürchtung, dass Überlingen als Unglücksstadt wahrgenommen wird“, sagt Weber. Das sei nicht geschehen – stattdessen sei es gelungen, eine ausgleichende, völkerverbindende Atmosphäre zu schaffen. Im Kontakt mit Angehörigen der Opfer seien im Laufe der Jahre auch Freundschaften entstanden, die bis heute anhielten. „Der 1. Juli ist aber ein Datum, das unvergessen bleibt“, sagt der 68-Jährige.

Mit welchem Gefühl wird er in diesem Jahr den 15. Jahrestag des Unglücks begehen? „Was man immer wieder spürt, ist die Dankbarkeit der Angehörigen, wie wir diese Dinge damals gemeistert und umgesetzt haben. Da ist eine ganz große Gemeinschaft, das wird immer wieder deutlich. Bei all dem Leid, das passiert ist – dass man der ganzen Geschichte noch etwas Gutes abgewinnen kann, ist für mich wahnsinnig tröstlich.“ (dpa)