Trudeau zu Zeiten von Trump

Kanadas Premierminister Justin Trudeau: Der liberale Politiker hat sich seit seinem Wahlsieg 2015 unter anderem für die Aufnahme von Flüchtlingen und für erneuerbare Energien und Klimaschutz eingesetzt. | Michael Kappeler/dpa

Vier von zehn US-Amerikanern hätten lieber den kanadischen Premierminister Justin Trudeau zum Präsidenten als ihren amtierenden, Donald Trump. Das ergab kürzlich die Umfrage eines französischen Marktforschungsunternehmens.

Die Unterschiede zwischen den beiden Politikern könnten kaum größer sein: Der liberale Trudeau hat sich seit seinem Wahlsieg 2015 unter anderem für die Aufnahme von Flüchtlingen und für erneuerbare Energien und Klimaschutz eingesetzt, Trump scheint das Gegenteil zu tun. Dazu gilt Trudeau mit seinem strahlenden Aussehen als Darling der globalen politischen Bühne und neuer „Kennedy Nordamerikas“. Aber Kanada braucht die USA – egal ob unter Obama, mit dem Trudeau eine Art „Bromance“ entwickelt hatte, oder Trump.

Die Grenze zwischen den beiden Ländern ist mit fast 9.000 Kilometern die längste der Welt, rund 70 Prozent seines Außenhandels wickelt Kanada mit den USA ab. Trudeau betont deswegen öffentlich die Gemeinsamkeiten und die jahrhundertelange Freundschaft.

„Immer wenn Trump mir etwas versprochen hat, am Telefon oder persönlich, hat er sich daran gehalten, und das ist jemand, mit dem man arbeiten kann“, sagte er einem Bericht der „New York Times“ zufolge kürzlich bei einer Veranstaltung in Toronto.

Kanadas Strategie ist zweigleisig: Einerseits muss die gut eingespielte Partnerschaft mit den USA erhalten bleiben. Andererseits aber haben Trumps „Amerika zuerst“-Politik, der angekündigte Rückzug Großbritanniens aus der Europäischen Union und das derzeit sehr mit sich selbst beschäftigte Europa ein Machtvakuum auf der internationalen Politikbühne hinterlassen – und das global bisher eher bescheiden und unscheinbar wirkende Kanada ist angetreten, es zu füllen.

Mit mehreren Grundsatzreden im Parlament in der Hauptstadt Ottawa haben Trudeaus Minister kürzlich ihre Strategien dafür angekündigt. „Die Tatsache, dass unser Freund und Partner dahin gekommen ist, den Wert seiner globalen Führungsrolle infrage zu stellen, macht es für den Rest von uns deutlich, dass wir unseren klaren und unabhängigen eigenen Kurs setzen müssen“, sagte Außenministerin Chrystia Freeland. „Für Kanada bedeutet dieser Kurs die Erneuerung, ja die Stärkung der multilateralen Nachkriegs-Weltordnung.“

Das Land will eine aktivere Rolle in multilateralen Foren wie der Nato übernehmen und ist im kommenden Jahr Gastgeber des G7-Gipfels. „Wenn wir uns nur auf den Schutz des US-Sicherheitsmantels verlassen, macht uns das zu einem Kunden-Staat“, sagte Freeland.

„Auch wenn wir eine unglaublich gute Beziehung zu unseren amerikanischen Freunden und Nachbarn haben, wäre eine solche Abhängigkeit nicht im Interesse Kanadas.“ Verteidigungsminister Harjit Sajjan kündigte zudem eine deutliche Aufstockung der Militärausgaben an. Bis 2027 soll der Verteidigungsetat um rund 70 Prozent auf 32,7 Milliarden kanadische Dollar (rund 21,5 Milliarden Euro) steigen. Zudem will Kanada der Welt demonstrieren, wie Trump mit einer von der „New York Times“ bereits zur „Donut-Strategie“ deklarierten Taktik zu zähmen ist: Harmonie mit Trump wahren, aber vor allem um ihn herum arbeiten und so eine Art „Donut mit Loch in der Form des Weißen Hauses“ schaffen. Trudeau hat ein ganzes Spezialteam darauf angesetzt. „Wir haben nicht den Luxus eines Ozeans dazwischen, wie die Deutschen. Und wir haben keinen Plan B“, sagte Derek Burney, früherer kanadischer Botschafter in Washington. Auch der frühere konservative Premierminister Brian Mulroney ist Teil des Spezialteams, denn er kennt Trump und Handelsminister Wilbur Ross aus Südflorida, wo alle drei Ferienhäuser haben. Auf allen Regierungsebenen, bis hinunter zu Lokalverwaltungen, suchen die Kanadier die Zusammenarbeit mit den USA, um so Trump zu umgehen. Trudeau selbst, der in seinem Heimatland nicht mehr ganz so sehr gefeiert wird wie noch zu Beginn seiner Amtszeit, deutete das in einem Tweet an, als er enttäuscht auf den Ausstieg der „US-Bundesregierung“ aus dem Pariser Klimaabkommen reagierte. Hinter den Kulissen arbeitet Kanada mit anderen Regierungsebenen längst weiter am Klimaschutz.

Und auch von Trumps ständigen Tweets zu allen Tages- und Nachtzeiten lässt sich Trudeau nicht aus der Ruhe bringen. „Wenn ich nachts geweckt werde, dann muss es schon wegen etwas wichtigerem als einem Tweet sein – von egal wem.“ (dpa)