Québecs Unabhängigkeits-Wille ermüdet

Charles de Gaulle bei seiner Rede auf dem Balkon des Rathauses in Montreal. | UPI/UPI/dpa

Die Worte beflügelten den Ruf nach Unabhängigkeit der französischsprachigen Provinz und führten zu politischen Veränderungen, die noch heute nachwirken. Doch der Wunsch nach Souveränität scheint in Québec zu schwinden.

Die kontroverse Rede während eines Staatsbesuchs aus Anlass der Expo-Weltausstellung in Montreal und Kanadas 100. Gründungsgeburtstag bescherte de Gaulle auf diplomatischer Ebene eine Ohrfeige. Der damalige kanadische Premierminister Lester B. Pearson erklärte seinen französischen Amtskollegen für nicht mehr willkommen. Denn dessen Ruf nach einem freien Québec habe der seinerzeit noch sehr kleinen Unabhängigkeitsbewegung internationale Bekanntheit und Glaubwürdigkeit verliehen, urteilt der politische Analyst und Rundfunksprecher Bernard St-Laurent. Es gebe keinen Zweifel, dass die Rede damals „als etwas gesehen wurde, das der Unabhängigkeitsbewegung eine Legitimität gab, die sie vorher nicht gehabt hatte“, sagt St-Laurent. Genau dies sei auch einer der Gründe gewesen, warum Pearson die Notbremse gezogen habe. Die Rede entfachte Leidenschaft und einen bitteren Geschmack von Verrat unter Kanadiern – vor allem unter jenen, die für Frankreich in den beiden Weltkriegen gekämpft oder Familienmitglieder verloren hatten. Dieser Zwiespalt hielt auch nach de Gaulles Tod 1970 an, sagt Ferry de Kerckhove, ein ranghoher Diplomat in jener Zeit. „Als de Gaulle starb, gab es mehrere Entwürfe für das Kondolenzschreiben des Premierministers. Und ich kann Ihnen sagen, dass derjenige, den ich entworfen hatte, als zu großzügig abgewiesen wurde.“

Derweil stärkten de Gaulles Worte die bis dahin kleine und zersplitterte Separatistenbewegung, die damals aus zwei Strömungen bestand: Die eine wollte eine Unabhängigkeit über revolutionäre Mittel bis hin zu terroristischen Akten erreichen; die andere suchte einen demokratischen und friedlichen Weg, wie St-Laurent sagt. 1968 entstand unter der Regie des charismatischen Nationalisten René Lévesque die Parti Québécois (PQ), die führende Unabhängigkeitspartei von Québec. Doch erst 1976 konnte Lévesque sein erstes Mandat als Premier der Provinz gewinnen und den ersten Vorstoß in Richtung einer Abspaltung von Kanada unternehmen. Bei einer ersten Volksabstimmung 1980 sprachen sich jedoch 60 Prozent dagegen aus. Erfolgreicher war der Premier dafür in seinen Bemühungen, die französische Sprache und Kultur in der Provinz zu schützen. So ließ er Gesetze verabschieden, die Französisch als offizielle Sprache in Québec zementierten.

Der Machtpoker mit der kanadischen Regierung um eine Unabhängigkeit ging aber weiter. 1982 weigerte sich die Provinz als einzige, die kanadische Verfassung formal zu unterzeichnen. Das ist bis heute nicht geschehen. Nicht zuletzt die Debatte über eine offizielle Anerkennung des Sonderstatus der Provinz führte zu einem zweiten Wahlsieg von Lévesques Partei und einem weiteren Referendum 1995. Dabei schien ein Sieg der Nationalisten im Vorfeld greifbar nahe. Nach einer emotional geladenen Kampagne setzte sich das „Nein“-Lager aber doch knapp durch. Mit einer Mini-Mehrheit von nur 50,58 Prozent der Stimmen verhinderten die Gegner eine Abspaltung.

Die Stimmung für eine Souveränität Québecs sank nach 1995. Dahinter standen demografische Gründe, aber ironischerweise auch die Erfolge der Parti Québécois, die französische Sprache zu schützen. Damit sei eines der zentralen Argumente ausgehebelt worden, sagt St-Laurent. 50 Jahre nach de Gaulles Worten, scheint die Unabhängigkeitsbewegung erlahmt. Einer Umfrage vom März zufolge würden sich in einem erneuten Referendum mittlerweile sogar 64 Prozent gegen eine Abspaltung Québecs von Kanada aussprechen. Mehrheitlich auch die Frankophonen, die seinerzeit die Bastion der Bewegung gebildet hatten. (dpa)