Museen in USA modernisieren sich

Eine Besucherin sitzt in der Ausstellung „Unseen Oceans“ im American Museum of Natural History in New York an einem Computer, der eine Fahrt mit Unterwasserfahrzeugen simuliert. | Johannes Schmitt-Tegge/dpa

Wer in die Tiefsee will, muss erstmal an den Dinosauriern vorbei. Am Stegosaurus etwa, oder am geschnabelten Edmontosaurus, der vor 70 Millionen Jahren auf drei Kontinenten lebte. Schautafeln erklären die lateinisch benannten Fossilien mit Texten und Diagrammen – klassische Didaktik also.

Hier atmet das New Yorker Naturkundemuseum, gegründet 1869 und eines der größten der Welt, die Luft des 20. Jahrhunderts. Aber schon zwei Ecken weiter wartet die Zukunft. Projektionen von Wellen vermitteln den Eindruck, am Strand zu stehen und nicht in der kürzlich eröffneten Ausstellung „Unseen Oceans“ über unerforschte Teile des Ozeans. Schwarzlicht im abgedunkelten Raum lässt Modelle von Fischen aufleuchten, die unter Wasser in neongrün oder grellorange fluoreszieren.

In Zeiten ständiger Berieselung kann es Überwindung kosten, im Ausstellungsraum nicht alle paar Minuten nach dem Handy zu tasten.

Auf einer digitalen Leinwand schwimmen animierte Rochen und ein Pottwal, ein Schild erinnert daran, Fotos auf Instagram zu teilen. Das American Museum of Natural History (AMNH) modernisiert sich und andere Museen in den USA mit ihm – ob zu Naturwissenschaft, Kunst oder Stadtgeschichte.

„Vor einem Jahrhundert stellte man Tausend Fossilien mit einem lateinischen Namen aus und das war die Ausstellung“, sagt Lauri Halderman, Ausstellungs-Leiterin beim AMNH. Aber „Ausstellungen verändern sich, Besucher ändern sich“. Die Menschen seien heute „visueller“, sagt ihre für interaktives Design zuständige Kollegin Hélène Alonso. Und: „Ihre Aufmerksamkeitsspannen sind kürzer.“ In Zeiten ständiger Berieselung kann es Überwindung kosten, im stillen Ausstellungsraum nicht alle paar Minuten nach dem Handy zu tasten. Und so ziehen die Museen mit. Tablets und interaktive Bildschirme gehören häufig zum Standard, Apps im Handy haben persönliche Führungen in Museen vielfach ersetzt.

Im AMNH werden Besucher so etwa zum berühmten, fast 30 Meter langen Modell eines Blauwals gelotst, sagt Halderman – dann aber auch dazu ermutigt, nicht mehr auf ihr Display, sondern auf den Bauchnabel über ihnen zu gucken. Die App stützt sich auf ein Netzwerk aus 800 Funkbaken im gesamten Museum und zeigt Informationen zur unmittelbaren Umgebung an.

Auch die Spielerei mit Augmented Reality (AR) hat sich unter Kuratoren herumgesprochen. Dabei werden im Handy oder Tablet virtuell Texte, Grafiken oder Animationen über einen Gegenstand gelegt, sobald die Kamera auf dieses Objekt zeigt. Im Kennedy Space Center in Florida werden so Astronauten zum Leben erweckt, beim Getty Museum in Los Angeles kann man mittels AR eine virtuelle Vitrine aus Augsburg aus dem 17. Jahrhundert halten. Im Museum of Modern Art (MoMA) in New York fand AR kürzlich sogar ohne Vorwissen der Museumsleitung statt, als eine Künstlergruppe einige Jackson Pollock-Gemälde kaperte und mittels einer App eigene virtuelle Kunst darüberlegte.

Der technologische Sprung nach vorn ist auch ein Kampf gegen schwindendes Publikum. Acht Prozent Rückgang bei den Besucherzahlen in Kunstmuseen notierte das National Endowment for the Arts (NEA) in den USA zwischen 2002 und 2015. Nicht etwa die Museen untereinander machten sich Konkurrenz, sagte Sree Sreenivasan 2015, damaliger Chef für Digitales beim Metropolitan Museum of Art, sondern Fernsehserien und Handy-Spiele: „Unsere Konkurrenz sind Netflix und Candy Crush“.

So verwandelte auch das Met, das eine der bedeutendsten kunsthistorischen Sammlungen weltweit besitzt, Gebetsperlen aus dem 16. Jahrhundert in eine „Virtual Reality Experience“. Mithilfe von CT-Scans konnten Besucher die Schnitzereien durch spezielle Brillen angucken, das Museum feierte die Darstellungsform als Weltpremiere.

Aber es geht nicht nur um sexy Design und Spielereien. Auf Touch-Bildschirmen lassen sich Aspekte einer Schau vertiefen, ohne Besucher direkt mit zu viel Text oder Diagrammen zu erschlagen. In der Ausstellung „New York At Its Core“ über 400 Jahre Geschichte der Metropole bieten die Schirme etwa Lebensläufe oder Hintergründe zur Zeit der Indigenen, Trapper und Händler, als Manhattan in Europa nur als Handelsposten der niederländischen Westindien-Kompanie bekannt war. Im „Future City Lab“ werden danach das Zusammenleben oder der Nahverkehr der Zukunft auf interaktiven Schirmen simuliert. Videos allein scheinen hier dem Gestern anzugehören.

Das Naturkundemuseum ist sich bewusst, dass zu viel Gadgets der Seriosität auch schaden könnten.

Im Cooper Hewitt Museum klingt die neue Technik fast nach Disneyland: Vom „Immersion Room“ ist da die Rede, und von hochauflösenden Touchscreen-Tischen, an denen Besucher selbst zu Designern werden können. In einem interaktiven Stift lassen sich einzelne Objekte der Ausstellung sammeln und speichern. Entgegen anfänglicher Skepsis nutzten die Technik heute 97 Prozent aller Besucher, sagte Direktorin Caroline Baumann der Website „The Verge“ vergangenes Jahr, was offenbar auch neue Besuchergruppen anzieht. „Wir sehen Menschen, die noch nie im Museum waren“, sagte Baumann.

Lauri Halderman vom Naturkundemuseum ist sich bewusst, dass zu viel Gadgets der Seriosität ihres Hauses auch schaden könnten. „Könnten wir zu weit gehen? Sicher“, sagt sie. Zu „flashy“ seien Ausstellungen aber nicht, solange die neue Technik mit klassischen Darstellungsformen gekoppelt werde. „Museen wollten enzyklopädisch sein in ihrer Lehrweise. Dieser Impuls hat sich geändert.“ (dpa)