Missbrauchsskandal im Vatikan brodelt weiter

Emiliano Fittipaldi ist kein gern gesehener Mann im Vatikan. Der italienische Journalist kennt die Anklagebank des Kirchenstaates gut. Als er 2015 ein Buch über Geldverschwendung im Vatikan veröffentlicht hatte, saß er wenig später vor Gericht. Das als „Vatileaks2“ bekannt gewordene Verfahren hielt ihn jedoch nicht davon ab, sondern bestärkte ihn, ein neues Buch über den Vatikan zu schreiben. „Lussuria“ (Wolllust) erscheint diesen Donnerstag und beleuchtet ein dunkles Kapitel: Kindesmissbrauch, pädophile Priester und das Versagen des Vatikans, dagegen entschieden vorzugehen.

Fittipaldi ist überzeugt, dass im Vatikan zwar viel geredet, aber wenig getan wurde.

Es ist sieben Jahre her, dass der Skandal um sexuellen Missbrauch abertausender Kindern in der katholischen Kirche voll ins Rollen kam, auch in Belgien. Fittipaldi ist überzeugt, dass seitdem im Vatikan zwar viel geredet, aber wenig getan wurde. „Der Missbrauch an den Kleinsten ist beileibe kein überstandenes Phänomen“, heißt es in dem Buch. So würden pädophile Priester immer noch hin- und herversetzt, statt strafverfolgt oder exkommuniziert. Hochrangige Kardinäle würden trotz Vorwürfen, nichts gegen Missbrauch zu unternehmen, Karriere im Vatikan machen. Und der Papst?

„Es wird immer noch alles geheim gehalten“, sagt Fittipaldi. „Ich unterscheide zwischen Vatikan-Propaganda – das Gerede, die Mitteilungen – und den Fakten.“ Franziskus habe vier oder fünf Bischöfe versetzt, aber „in meinem Buch spreche ich über die, die er befördert hat“.

Prominentes Beispiel: Kardinal George Pell, der dritthöchste Mann im Vatikan und Leiter des Wirtschaftssekretariats. Der Australier ist seit Jahren umstritten. Vor einer Untersuchungskommission in seiner Heimat musste er aussagen, weil ihm vorgeworfen wurde, Missbrauch vertuscht zu haben. Pell hatte Fehler der Kirche eingeräumt, eine eigene Schuld bestreitet er aber.

Auch jetzt wehrt er sich. Fittipaldis Buch sei ein „schlechtes und veraltetes Stück Journalismus“, das einzig falsche Anschuldigungen wiederhole, um Pells Ruf zu beschädigen, teilt sein Büro mit. Hinter den Anschuldigungen steckten jene, die mit dem Reformprozess für mehr Transparenz im Vatikan nicht einverstanden seien, legt die Mitteilung nahe. Der Vatikan äußerte sich zunächst nicht zu den Anschuldigungen.

In einem schlechten Licht lässt der Autor auch die Glaubenskongregation erscheinen. Sie soll Missbrauchsfälle in der Kirche auf der ganzen Welt ahnden. In den ersten drei Amtsjahren von Franziskus seien der Kongregation 1.200 „glaubhafte“ Fälle gemeldet worden. Es gebe aber keine Transparenz, was mit diesen Fällen geschehe, so Fittipaldi.

Auch andere sehen einen Interessenskonflikt. „Man braucht eine Einrichtung, die unabhängig von der Kurie und den Bischöfen arbeitet, jenseits von kirchlichen Strukturen“, sagt Sigrid Grabmeier von der katholischen Reformbewegung „Wir sind Kirche“.

Problem ist laut Fittipaldi auch, dass die Kirche in vielen Ländern nicht dazu verpflichtet ist, Missbrauch an die Ermittler zu melden. Diese „Schweigepflicht“ diene dazu, von Priestern begangene Sexualdelikte zu verstecken. Die Vereinten Nationen hatten das in einem niederschmetternden Bericht bereits im Jahr 2014 bemängelt und den Vatikan aufgerufen, seine Strukturen zu ändern.

Franziskus äußert sich zwar oft zur „Plage“ des Kindesmissbrauchs und verlangte wie sein deutscher Vorgänger Papst Benedikt XVI. eine „Null-Toleranz“-Politik. Eine von ihm eingesetzte Untersuchungskommission sollte Leitlinien gegen Missbrauch erarbeiten – doch Handlungsmacht hat sie nicht. Und sie soll nur zwei Mal im Jahr tagen.

Problem ist, dass die Kirche in vielen Ländern nicht dazu verpflichtet ist, Missbrauch an die Ermittler zu melden.

Schlagzeilen löste zudem aus, als eines der Mitglieder – das Missbrauchsopfer Peter Saunders – freigestellt wurde, weil er offen Kritik an Kardinal Pell geäußert hatte. „Es könnte so viel mehr getan werden“, sagt Saunders. Die Kommission müsste mit unabhängigen Fachleuten besetzt werden, wenn es die Kirche wirklich ernst meine. Die Rede sei davon, den Ruf der Kirche „nach dem Missbrauch“ wiederherzustellen. „Aber Missbrauch passiert immer noch, es gibt keinen „Post-Missbrauch“.“ Franziskus sei ein „cleverer Mann“, aber er umgebe sich mit zweifelhaften Leuten.

Signalwirkung sollte auch der Fall eines Ex-Papstbotschafters in der Dominikanischen Republik haben, der mehrere Jungen missbraucht haben soll. Josef Wesolowski wurde festgenommen und sollte vor Gericht im Vatikan gestellt werden. Es wäre das erste Mal gewesen, dass einem ranghohen katholischen Geistlichen wegen sexuellen Missbrauchs im Vatikan strafrechtlich der Prozess gemacht worden wäre. Allerdings zog sich das Prozedere so lange hin, dass der Angeklagte noch vor Beginn starb.

Schneller ging dagegen das Verfahren gegen Fittipaldi. Der veröffentlichte „Avarizia“ (Deutsch: Geiz) Anfang November 2015. Bereits Ende des gleichen Monats stand er wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente vor Gericht. Zwar wurde er im Juli 2016 freigesprochen. Es bleibt aber der üble Nachgeschmack, dass im Vatikan mit zweierlei Maß gemessen wird. (dpa)