Menschen mit Behinderungen haben meistens keine Chance, auch wenn sie richtig gut sind

<p>Frangiskos Kakoulakis, Luisa Wöllisch und Gesa Romm (von links) beim Schauspieluntericht der Freien Bühne München.</p>
Frangiskos Kakoulakis, Luisa Wöllisch und Gesa Romm (von links) beim Schauspieluntericht der Freien Bühne München. | Sina Schuldt/dpa

Doch dass sie diese Ausbildung machen, ist nicht selbstverständlich, denn jeder der Jugendlichen hat eine Behinderung. Die Freie Bühne München (FBM) ist eine der wenigen Schauspielschulen in Deutschland, an denen ihr Traum wahr werden kann.

Luisa Wöllisch hat drei Jahre Schauspielausbildung an der FBM hinter sich. „Das ist eine sehr intensive Zeit, wo man sehr viel an sich arbeitet“, erzählt die 22-Jährige mit Down-Syndrom. „Man braucht ein hartes Fell, du musst durchhalten können. Wenn du nicht durchhältst, bist du fehl am Platz.“ Durchhaltewillen und Selbstbewusstsein hat sie, auch ein Talent für komische Rollen, aktuell zu bewundern in der Kinokomödie „Die Goldfische“ mit Tom Schilling und Jella Haase. Darin kapert ein querschnittgelähmter Banker den Bus einer Wohngemeinschaft für Behinderte, um Schwarzgeld aus der Schweiz nach Deutschland zu schmuggeln. Dank der WG-Bewohner endet die Fahrt im Chaos.

Luisa spielt Franzi, ein Mädchen mit Down-Syndrom. „Sie hat schon als Kind wahnsinnig gerne Show gemacht, hat gesungen und getanzt“, verrät ihre Mutter Eva Wöllisch. Sie spielte Theater in der Schule und im Jugendtreff, mehr schien nicht drin. „Sie hat ein Talent, aber das war’s dann auch“, schildert die Mutter ihre Gedanken damals. Da war es ein glücklicher Zufall, dass die frühere ZDF-Journalistin Angelica Fell gerade etwas für ihren Sohn mit Down-Syndrom suchte. Er wollte ans Theater, aber: „Dennis hätte an keiner Schauspielschule einen Platz bekommen“, meint Fell. So gründete sie 2014 selbst ein Theater mit Schauspielschule, die neben der Ausbildung Workshops und ein Orientierungsjahr bietet. Höhepunkt jeden Herbst: Die große Theaterproduktion, für die die Bühne Schauspieler mit und ohne Behinderungen engagiert. Hinzu kommen Auftritte bei Festivals und an anderen Theatern.

Und nach der Schauspielschule? Nicht jeder hat Glück wie Luisa oder Dennis, 2016 in der Krimikomödie „Die Grießnockerlaffäre“ zu sehen. „Behinderte Darsteller brauchen Regisseure, die sich nicht vor Wagnissen fürchten. Wer nur auf den ausgetretenen Pfaden des herkömmlichen bürgerlichen Theaters wandelt, wird einem behinderten Akteur nie eine Chance geben“, schreibt der Autor und Schauspieler Peter Radtke auf seiner Internetseite. Trotz Glasknochenkrankheit spielte er auf großen Bühnen und arbeitete mit Regisseuren wie Franz-Xaver Kroetz oder George Tabori. „Wagen wir uns aus unserm Schneckenhaus!“, rät er Schauspielerin in ähnlicher Lage. „Wir bereichern auch die traditionelle Kultur um neue Impulse, die diese so dringend nötig hat, wenn sie nicht in tödlichem Formalismus erstarren will.“

Der geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins in Köln, Marc Grandmontagne, sieht große Herausforderungen für den Kulturbereich. Von umfassenden Teilhabemöglichkeiten sei man noch weit entfernt. „Auch für die Theater bestehen noch viele Hürden – vor, hinter und auf der Bühne und nicht zuletzt in unser aller Köpfen.“ Solche Hürden will Intendant Karsten Wiegand vom Staatstheater Darmstadt überwinden. 2014 engagierte er Jana Zöll, Schauspielerin mit Glasknochenkrankheit, und Samuel Koch, seit einem Unfall in der ZDF-Show „Wetten, dass…?“ querschnittgelähmt. „Es gab eine große Offenheit, und dann gab es natürlich auch Ängste: Wie ist eine Kostümanprobe mit einem Querschnittgelähmten“, erinnert sich Wiegand. Die Angst verschwand, je besser sich alle kannten, und Koch blieb, bis er 2018 ans Nationaltheater Mannheim wechselte. Jetzt ist in Darmstadt Erwin Aljukic, auch im Rollstuhl und bekannt aus der ARD-Vorabendserie „Marienhof“.

„Wir machen das, weil wir davon überzeugt sind und weil uns die Schauspieler künstlerisch überzeugt haben“, erklärt Wiegand. Nicht aus Mitleid. Ein Journalist fragte mal: „Darf man die jetzt kritisieren?“. Wiegand antwortete: „Klar darf man, Jana und Samuel möchten keinen Mitleidsbonus, das empfänden sie als Beleidigung.“ Der Wunsch des Intendanten: dass die Zuschauer wahrnehmen, „welche einzigartigen Fähigkeiten dieser Mensch mitbringt, und sich nicht dauernd auf Einschränkungen und Defizite fokussieren“.

Darauf hofft auch Luisa. „Das Tolle am Schauspielern ist für mich, dass ich Rollen spielen kann, die keine Beeinträchtigung haben.“ Nicht nur Stücke rund um Behinderung also, lieber Komödien oder eine Rolle im ARD-Krimi „Tatort“, „das ist einer meiner Träume.“ Ob das klappt? „Ich bin optimistisch“, sagt die 22-Jährige. Vorerst geht es bei ihr mit Drama weiter: Die Freie Bühne engagierte sie für den Herbst als Lulu für eine Aufführung nach Frank Wedekind. Zudem bildet sie sich weiter zum Coach, damit sie später selbst an ihrer Schule unterrichten kann. „Ich habe es ausprobiert und es hat richtig viel Spaß gemacht“, sagt Luisa und hofft, dass sie anderen helfen kann, ihren Traum vom Schauspiel wahr werden zu lassen. (dpa)

Info: Am 21. März ist der Welt-Down-Syndrom-Tag.

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