Kommt jetzt Italien statt Jamaika?

Angela Merkel ist immer noch eine Kanzlerin ohne rasche Aussicht auf eine stabile Koalition. | afp

Acht Wochen nach der Bundestagswahl ist die CDU-Chefin immer noch eine Kanzlerin ohne rasche Aussicht auf eine stabile Koalition. Nach dem Ausstieg von FDP-Chef Christian Lindner aus den Jamaika-Sondierungen setzt Merkel darauf, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Sondierungen doch nochmal in Gang bringen kann. Doch ob das klappt?

Merkel steht jetzt vor ihrer wohl größten Herausforderung. Kurz nachdem Lindner in der Nacht zum Montag das Ende der Jamaika-Verhandlungen mit fehlendem Vertrauen begründet hatte, sprach sie noch von einem „Tag mindestens des tiefen Nachdenkens, wie es weitergeht in Deutschland“. Sie werde „alles tun, dass dieses Land auch durch diese schwierigen Wochen gut geführt wird“. Nicht einmal 24 Stunden danach hat sich Merkel dann ohne langes Zaudern zu einer weitreichenden Ankündigung entschlossen.

Die Kanzlerin als Felsin der Brandung, solldas signalisieren.

Im ARD-“Brennpunkt“ sagt die nur noch geschäftsführende Kanzlerin am Montagabend, falls es zu Neuwahlen kommen sollte, sei sie „eine Frau, die Verantwortung hat und auch bereit ist, weiter Verantwortung zu übernehmen“. Im Klartext: Sie werde, wenn nötig, auch einen weiteren Anlauf zu einer vierten Kanzlerschaft nehmen. Die Kanzlerin als Fels in der Brandung, soll das signalisieren. Auch in einem Europa im Umbruch und in einer Welt der Krisen.

Dabei hatte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) noch in einer Telefonkonferenz des CDU-Vorstands am Vormittag versucht, eine Diskussion über Neuwahlen zu vermeiden. Soweit sei man noch nicht.

Doch manche in der CDU-Spitze um Merkel waren da schon weiter: Sollten die Bürger im Frühjahr erneut zur Wahl gebeten werden, habe man mit der Vorsitzenden die besten Chancen, war dort zu hören. Dies sei auch die allgemeine Einschätzung in der CDU. Gut möglich, dass das tatsächlich stimmt: In der Nacht der Entscheidung hatte die Verhandlerrunde der Spitzenleute von CDU und CSU, die Merkel bei ihrem Statement um sich versammelt hatte, ihrer Arbeit soviel Beifall gezollt, dass es der Kanzlerin offensichtlich schon unangenehm war: „So, reicht“, sagt sie schnell. Am Montag ist dann erstmal die Stunde des Bundespräsidenten. Um 12Uhr kommt Merkel in dessen Amtssitz Schloss Bellevue, 60 Minuten lang bespricht sie mit Steinmeier die Lage. „Wir stehen jetzt vor einer Situation, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, also seit immerhin fast 70 Jahren, noch nicht gegeben hat“, sagt der Bundespräsident später ernst. „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält.“ Das Wort Neuwahl nimmt er nicht in den Mund.

In den kommenden Tagen will das Staatsoberhaupt mit den Chefs aller an den Jamaika-Sondierungen beteiligten Parteien sprechen – auch mit Lindner. Mit den Vorsitzenden von Parteien, „bei denen programmatische Schnittmengen eine Regierungsbildung nicht ausschließen“ werde er ebenfalls reden – das ist auf den SPD-Vorsitzenden Martin Schulz gemünzt. Der hat da schon kurz mit Steinmeier gesprochen und mit ihm ein Treffen am Mittwoch verabredet. „Frau Merkel hat mich bis heute noch nicht kontaktiert“, sagt Schulz dann nach der SPD-Vorstandssitzung fast vorwurfsvoll. Doch was bewegt den SPD-Chef zu diesen Worten?

Insgeheim mag Merkel hoffen, dass der frühere SPD-Außenminister Steinmeier seinen Parteifreund Schulz doch noch bewegen kann, in Verhandlungen über eine Fortsetzung der ungeliebten großen Koalition einzusteigen. Nachdem dieser das seit Wochen ausschließt und eine Erholung seiner Partei in der Opposition anstrebt, sind die Chancen dafür aber gering. Spätestens seit Montag dürften sie bei Null liegen: Der SPD-Vorstand schließt eine weitere große Koalition einstimmig aus und plädiert für eine rasche Neuwahl. Auch deswegen wohl Merkels Ankündigung einer erneuten Kandidatur.

Dabei wollen Merkel, die CSU und wohl auch die Grünen Neuwahlen am liebsten vermeiden. Vereint sind Union und Grüne in der Furcht, vor allem die Rechtspopulisten von der AfD könnten davon profitieren. Schon gibt es außerdem die Sorge, Deutschland könnte bei einer Neuwahl italienische Verhältnisse drohen, also eine Zersplitterung der Parteienlandschaft. CDU und CSU, so die Sorge, könnten noch weit unter ihr Ergebnis von 32,9 Prozent bei der Bundestagswahl am 24.September fallen – ohnehin das schlechteste seit 1949. Auch die SPD, so geht die Rechnung, könne womöglich nicht profitieren, sodass es eventuell in diesem Fall auch für eine Neuauflage der großen Koalition nicht mehr reichen könnte. (dpa)