Kardinal als Sex-Straftäter verurteilt

<p>Für den Vatikan ist der Schuldspruch gegen den australischen Kardinal George Pell (Bild) eine Katastrophe. Doch Papst Franziskus will noch nicht sofort durchgreifen.</p>
Für den Vatikan ist der Schuldspruch gegen den australischen Kardinal George Pell (Bild) eine Katastrophe. Doch Papst Franziskus will noch nicht sofort durchgreifen. | afp

Eigentlich ist George Pell ein Mann des Wortes. Ein Priester aus einfachen Verhältnissen, der mächtig reden kann. Und auch dadurch zum Bischof, zum Kardinal und schließlich zu einer der mächtigsten Figuren im Vatikan wurde. Am Dienstag tat der Australier jedoch, was er nun fast schon seit einem Jahr tut. Er schwieg. Mit einem Stock in der rechten Hand marschierte der 77-Jährige aus dem Justizpalast von Melbourne still durch einen Pulk von Kameras, stieg in einen goldenen Mercedes und fuhr davon.

Der bisherige Finanzchef des Vatikans wurde wegen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen schuldig gesprochen.

Dabei hätte Pell guten Grund, sein Schweigen endlich zu brechen. Seit Dienstag weiß die ganze Welt, was seit Dezember bereits aktenkundig ist: Der bisherige Finanzchef des Vatikans – quasi die Nummer drei des Kirchenstaats und einer der wichtigsten Berater von Papst Franziskus – wurde von einem Gericht in Melbourne wegen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen schuldig gesprochen. Zwölf Geschworene kamen einstimmig zu der Überzeugung, dass er sich erwiesenermaßen in den 1990er Jahren an zwei Chorknaben vergangen hat.

Wegen Besonderheiten im australischen Justizsystem wurde das Urteil zweieinhalb Monate unter Verschluss gehalten. Damit im Fall eines zusätzlichen Prozesses keine anderen Geschworenen beeinflusst würden, verhängte die Justiz eine extreme Nachrichtensperre. Man durfte nicht einmal berichten, dass verboten war, zu berichten. Jetzt steht fest, dass es keinen zusätzlichen Prozess geben wird. Deshalb darf nun gesagt werden, dass Pell in fünf Punkten schuldig gesprochen wurde. Die Höhe der Strafe muss noch festgelegt werden. Die Höchststrafe beträgt in allen Punkten: zehn Jahre Haft. Insgesamt: bis zu 50 Jahre Gefängnis. In diesem Fall: für den Rest des Lebens.

Für den Vatikan, der gerade einen großen Anti-Missbrauchsgipfel hinter sich hat, ist die Verurteilung Pells eine neue Hiobsbotschaft. Zwar gibt es aus vielen anderen Ländern längst Urteile gegen katholische Geistliche, die sich an Kindern vergingen. Aber so weit oben in der katholischen Hierarchie stand ein verurteilter Sexualstraftäter noch nie. Für den Papst kommt der Schuldspruch des einstigen Vertrauten einer Katastrophe gleich. Gerüchte um den konservativen Gottesmann – ein Mann von immer noch mächtiger Statur – gab es schon lange. Bis auf die Vorwürfe, wegen denen Pell nun verurteilt wurde, kam jedoch nichts vor Gericht.

Dabei geht es um die Jahre 1996/97, als Pell gerade Erzbischof von Melbourne geworden war. In der dortigen St.-Patrick’s-Kathedrale – so die Überzeugung aller Geschworenen – verging er sich an zwei 13-Jährigen, die er mit Messwein in der Sakristei erwischt hatte. Demnach zwang er einen der Schüler zum Oral-Sex, dem anderen hielt er seinen Penis ins Gesicht. Bei anderer Gelegenheit, ein paar Monate später, bedrängte er nach Überzeugung des Gerichts einen der Jungen erneut. Einer der beiden ist inzwischen tot, gestorben an einer Überdosis Heroin. Der andere wartete zwei Jahrzehnte, bis er endlich zur Polizei ging. Im Prozess war der einstige Chorknabe, heute Mitte 30, der Hauptbelastungszeuge.

Pell selbst bestreitet bis heute alle Vorwürfe. Über seine Anwälte ließ er erklären: „Kardinal Pell hat immer seine Unschuld beteuert. Das macht er auch weiterhin.“

Das letzte Mal, dass er selbst etwas sagte, war im vergangenen Juni. Damals donnerte er in den Gerichtssaal zwei Worte: „Nicht schuldig!“ Seither kein Wort. Seine Anwälte kündigten an, in die nächste Instanz zu gehen. Trotz des Schuldspruchs ist Pell bislang gegen Kaution auf freiem Fuß. An diesem Mittwoch könnte sich dies ändern. Mit Beginn der Beratungen über das Strafmaß würde er normalerweise inhaftiert werden. Die Justiz kann jedoch davon absehen, zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen.

Pell hat gerade eine schwere Knie-Operation hinter sich. Die Entscheidung, ob – und wenn ja, wie lange – er ins Gefängnis muss, wird dann für Mitte März erwartet.

Unabhängig davon muss der Papst entscheiden, wie es mit Pell in kirchlichen Angelegenheiten weitergeht. Bis zuletzt hatte Franziskus an ihm festgehalten – Motto war stets, erst zu reagieren, wenn die Schuld gerichtlich bewiesen sei. Das ist zwar jetzt der Fall, doch der Vatikan will weiter warten – nun auf ein Urteil im Berufungsverfahren. Pell habe „das Recht, sich bis in die letzte Instanz zu verteidigen“, erklärte Vatikan-Sprecher Alessandro Gisotti. Sofortige Konsequenzen wird es demnach nicht geben. Gisotti sprach dennoch von einer „schmerzhaften Nachricht“, die „viele Menschen nicht nur in Australien schockiert“. Bereits verhängte Maßnahmen gegen Pell würden weiter gelten. Der Kardinal dürfe – „bis die Fakten definitiv geklärt sind“ – weder sein Priesteramt öffentlich ausüben noch Kontakt mit Minderjährigen haben. Eine Entlassung Pells als Präfekt des Wirtschaftssekretariats wäre sowieso nicht mehr nötig: Passenderweise ist seine Amtszeit als Finanzchef nach fünf Jahren seit Sonntag regulär vorbei. (dpa)

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