Gipfel am Äquator: Städte platzen aus allen Nähten

Luftverschmutzung in Indien: Wie bekommt die Welt ihre Megacities in den Griff. | dpa

Die Bewohner von Boliviens Millionenmetropole La Paz haben seit einiger Zeit plötzlich viel mehr Zeit für Familie und Freunde. Noch dazu müssen sie nicht mehr den Gestank im Verkehr einatmen. Mehrere Seilbahnlinien gondeln mit herrlichem Blick auf die Anden zwischen La Paz und der Nachbarstadt El Alto – wer mitfährt, muss nicht mehr stundenlang mit Bussen in Staus feststecken. Ein Beispiel, das nun Schule macht. Aber die rasant wachsenden Städte haben nicht nur ein Verkehrs- und Umweltproblem. Viel Stoff für den UN-Weltsiedlungsgipfel in Quito.

Um was geht es beim alle 20 Jahre stattfindenden UN-Habitat-Gipfel?

Rund 40 000 Teilnehmer aus über 180 Staaten wollen sich auf eine neue «Urban Agenda» verständigen. Sie ist nicht rechtlich bindend, aber eine wichtige Leitschnur für kommunale Akteure: Wie können wir den CO2-Ausstoß verringern, wie mit architektonischen Lösungen bei wenig Platz lebenswerten Wohnraum schaffen, wie eine Ausbreitung von Slums verhindern? Allerdings konnte man sich bisher für die Agenda nicht auf ein konkretes Ziel einigen, wieviel Prozent des nationalen Steueraufkommens auf die kommunale Ebene zurückfließen soll, damit Städte zum Beispiel mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen können.

Wie hat sich die Stadtbevölkerung entwickelt?

Um 1800 lebten nur drei Prozent der Weltbevölkerung in städtischen Räumen. Die einzige Millionenstadt: Peking. Heute sind es fast vier Milliarden Menschen, die in Städten leben (54,5 Prozent), bis 2050 werden es Schätzungen zufolge rund 6,5 Milliarden sein. Der Großraum Tokio gilt mit 38 Millionen als größtes urbanes Ballungsgebiet der Welt, die Bevölkerung in Delhi könnte bis 2030 von 25 auf 36 Millionen wachsen, für Shanghai wird mit einer Zunahme auf 31 Millionen gerechnet.

Was treibt die Menschen in die Städte?

Fehlende Verdienstmöglichkeiten in ländlichen Regionen, Armut, Terror und Kriege, triste Perspektiven. In Afrika und Asien ist auch der Klimawandel ein starker Treiber, der die Landwirtschaft immer beschwerlicher macht. Und in Industrieländern wie Deutschland sind Überalterung und fehlende Infrastruktur ein großes Problem. Nach Angaben des Bundesbauministeriums stehen dort fast einem Drittel der Einwohner von ländlichen Gemeinden und einem Fünftel der Bewohner in Kleinstädten keine Supermärkte, Schulen oder Ärzte in 15 Minuten Gehentfernung zur Verfügung. Gerade Menschen zwischen 18 und 30 Jahren würden abwandern, vor allem junge Frauen wollen in die Stadt.

Wo wird der Schwerpunkt in Quito liegen?

Es gibt viele Pavillons und Ausstellungen, es ist eine globale Informationsbörse über spannende Projekte – wie die Seilbahn in La Paz. Da 70 Prozent der Treibhausgasemissionen in Städten anfallen, gilt Quito als wichtiger Baustein für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, für eine deutliche CO2-Reduzierung. Wie kann etwa der Autoverkehr eingedämmt werden – eine Alternative zu teuren Metros sind Straßenspuren nur für Schnellbuslinien, wie sie bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro zum Einsatz kamen. In Städten wie Berlin boomt der Radverkehr, aber es ist schwierig, nachträglich dem Auto- und Busverkehr Platz zu nehmen, um mehr reine Radstraßen zu bauen.

Und was ist mit dem «Megaproblem» Slums und Verdrängung?

Wer Fluchtursachen bekämpfen will, muss auch bei den katastrophalen Zuständen in Metropolen in Afrika und Asien ansetzen. «Wir brauchen viel mehr Mittel zur Armutsreduzierung», sagt die in Quito mitdiskutierende Expertin für städtische Entwicklung beim Hilfswerk Misereor, Almuth Schauber. Misereor unterstützt Projekte, die Slums «wohnlicher» machen und juristisch im Kampf um Bleiberechte helfen. 30 Prozent der Stadtbevölkerung in Entwicklungs- und Schwellenländern würden als informell gelten, so Schauber. «Sie kommen auf dem Radar der Stadtverwaltungen gar nicht vor.» Gerade diese Bürger seien oft von Gewalt und Vertreibungen betroffen, von Gentrifizierung und Immobilienspekulation. Das Klimathema sei sehr wichtig. «Aber das darf nicht zu Lasten des Themas Menschenrechtsverletzungen gehen.» (dpa)