Gemeinsames Buch von Walser und Augstein

Jakob Augstein (links) und der Schriftsteller Martin Walser haben ein gemeinsames Buch verfasst. | Arno Burgi/dpa

Martin Walser spricht es gleich zu Beginn an: „Aber, Jakob, wir werden uns natürlich immer an der Grenze zur Indiskretion bewegen“, sagt der Schriftsteller zu seinem Sohn.

Es ist einer der ersten Sätze in seinem neuen Buch „Das Leben wortwörtlich“, das er gemeinsam mit Jakob Augstein veröffentlicht hat. „Ist das ein Problem?“, fragt dieser ihn. Walsers Antwort: „Wenn wir unser Gespräch ganz offen führen, werden wir auch ganz offen sein, ganz ungeschützt. Ich habe das erlebt, als der letzte Band der Tagebücher erschien. Jeder Depp kann sich auf uns stürzen.“

Und tatsächlich: Die beiden kratzen mitunter am Rand der Indiskretion – nicht nur, aber auch, weil sie Vater und Sohn sind. Ein Jahr lang haben der Schriftsteller und der Journalist sich immer wieder getroffen und miteinander gesprochen. Entstanden ist eine Art gemeinsam verfasste Lebensbetrachtung – denn eine Autobiografie will Walser nach eigenen Angaben nicht schreiben.

„Das zwingt zu einer mir unangenehmen Art von Lüge. Die Lüge im Roman ist wunderbar. Sie ist eine Variation der Wahrheit. Aber die Lüge in den Memoiren, die möchte ich nicht“, sagt er. Ohnehin sei jeder Roman ein Selbstporträt des Autors zum Zeitpunkt des Schreibens. „Anders als aus meinen Erfahrungen heraus kann ich gar nicht schreiben.“

Die Gespräche von Walser und Augstein drehen sich um die Kindheit des Autors in Wasserburg am Bodensee, um den Eintritt der Mutter in die NSDAP, um Walsers damalige Wahrnehmung des Nationalsozialismus. Es geht um Freundschaft und das Lieben, um seine Arbeit als Autor, und – natürlich – um sein literarisches Werk.

Aber Augstein spricht auch über Themen der Vergangenheit, die Walser noch immer nahegehen – etwa die harte Kritik, die ihm nach seiner Paulskirchenrede entgegenschlug. Bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels hatte der Autor 1998 mit seiner Formulierung von Auschwitz als einer „Moralkeule“, von der „Instrumentalisierung unserer Schande“ (gemeint ist der Holocaust) einen Skandal ausgelöst.

Auch das Verhältnis von Schriftstellern und Kritikern spricht Augstein an – und ganz konkret Walsers Beziehung zu Marcel Reich-Ranicki. Er habe dessen Rezension von „Jenseits der Liebe“ aus dem Jahr 1976 als Versuch der Vertreibung aus der Literatur erlebt, sagt Walser. „Der machthabende Großkritiker MRR wollte mich aus der Literatur ausweisen, aus dem einzigen Land, in dem ich leben wollte. Er war der Erzengel mit dem Flammenschwert.“ Im Schlüsselroman „Tod eines Kritikers“, den Walser 2002 veröffentlichte, konnte dann unschwer Reich-Ranicki erkannt werden.

Doch egal, worüber Walser und Augstein sprechen: Hinter den Zeilen ist immer wieder ihre eigene Beziehung zueinander das Thema. Zwar sind beide Medienprofis – aber das aneinander Herantasten, die Versuche, sich ein Bild vom jeweils anderen zu machen, nimmt man ihnen dennoch ab. Im letzten Kapitel des Buches – unter dem Titel „Was wir verschweigen“ geht es dann auch ganz konkret um das Vater-Sohn-Verhältnis.

Er sei 2009 damit an die Öffentlichkeit gegangen, sagt Augstein. Auf Walsers Frage nach dem Warum, sagt er: „Ihr habt es mir überlassen, alles zu klären. Warum müssen die Kinder hinter den Eltern aufräumen?“ Man staunt als Leser über die Offenheit und Schonungslosigkeit, mit der die beiden sprechen, aber auch über die Versuche der durchaus liebevollen Annäherung, die man aus ihren Worten herauszulesen meint. „Wenn wir uns getroffen haben, habe ich dich jedes Mal sozusagen wiedererkannt. Und habe jedes Mal gestaunt“, sagt Walser. „Jetzt werde ich nicht mehr staunen. Das kommt von unserem Gespräch. Du bist mir jetzt näher, als du je warst.“

„Ihr habt es mir überlassen, alles zu klären. Warum müssen dieKinder hinter denEltern aufräumen?“

Und ausgerechnet an dieser intimsten Stelle, im letzten Kapitel des Buches, gelingt den beiden ein besonderer Kniff: Walser stellt Augstein noch eine letzte Frage: „Wir haben uns ein Jahr lang immer wieder getroffen, und du hast aus unseren wortwörtlichen Gesprächen dieses Buch geschrieben. Mit aller notwendigen Gründlichkeit. Aber dieses letzte Gespräch im Buch, das haben wir so nie geführt. Es hat so, wie du es hier aufschreibst, nicht stattgefunden. Du hast es dir beinahe ganz ausgedacht. Warum?“ (dpa)