Fahrende Frauen sollen saudische Wirtschaft stärken

Frauen sehen sich bei einer Automesse, die ausschließlich für Frauen ist, ein Auto an. | Ahmed Yosri/dpa

„Erfolg kennt kein Geschlecht“ prangt in großen Buchstaben an der Wand von Glowork in Riad. Die Arbeitsvermittlung in Saudi-Arabien begleitet schon seit 2011 Frauen auf ihrem Weg in den Arbeitsmarkt des ultrakonservativen Landes. Der 24. Juni soll für die Arbeit der Agentur ein Schlüsseldatum werden. In einem Monat sollen Frauen auch in der Wüstenmonarchie Auto fahren dürfen. Das Königshaus hofft durch diese und andere Reformen auf einen ökonomischen Schub, ohne den die Wirtschaft der Regionalmacht früher oder später wohl gegen die Wand fahren würde.

Tief eingebrannt hat sich das einseitige Geschäftsmodell des größten Erdölexporteurs der Welt. Mit dem Verkauf des Rohstoffs wurde Saudi-Arabien zwar unsagbar reich, aber ruhte sich auch lange auf seinem Geld aus. Spezialisten kamen aus dem Westen, Millionen Gastarbeiter wurden für die niederen Tätigkeiten geholt. Für seine Untertanen schuf das Königshaus dabei gut bezahlte Beamtenstellen, auch wenn diese oft nicht gebraucht wurden.

Arbeitende Frauen haben dabei ein grundsätzliches Problem. „Für Fahrer geben sie bis zu 40 Prozent ihres durchschnittlichen Gehalts aus“, berichtet Glowork-Managerin Ghaida Al-Mutairi, während sie durch die Glasbüros der Job-Plattform führt. Einen Großteil des Geldes schicken die oftmals ausländischen Arbeitskräfte dann nach Hause. Eine volkswirtschaftliche „Lose-lose“-Situation. Das erkannte auch die autokratische Regierung des Golfstaates – und reagierte vor zwei Jahren mit der „Vision 2030“, einem billionenschweren Umbau der Wirtschaft, um diese unabhängiger vom Öl und den Staat zum modernen Technologie-Standort zu machen. „Angesichts von über 50 Prozent weiblicher Hochschulabsolventen werden wir weiterhin ihre Talente fördern“ und dadurch die eigene Wirtschaft stärken, heißt es im Detailpapier des Masterplans. Das Ende des Fahrverbots für Frauen wurde dann im September angekündigt.

Dabei sind die Änderungen auch eine Zäsur, die in dem patriarchalischen Land erst einmal ankommen muss. Vielen Saudis ist es noch immer schwer vermittelbar, dass Frauen statt Hausarbeit Karriere machen könnten. Doch die Anforderungen auch an die Familien hätten in den vergangenen Jahren zugenommen, erklärt Al-Mutairi.

„Die Menschen verstehen, dass eine Einkommensquelle – die immer der Vater beziehungsweise der Ehemann war – nicht mehr genug sein wird.“ Künftig würden Frauen auf dem Arbeitsmarkt eine schlichte Notwendigkeit sein, kein Luxus. Ein großer Teil der Bevölkerung könne nicht einfach zu Hause bleiben, sagt sie. Stattdessen müsse Frauen nachgeeifert werden, die es in den vergangenen Jahren an die Spitze von Banken, Börse oder Zeitungen geschafft haben. Ihr ökonomischer Wert sei enorm – und könnte über Erfolg und Misserfolg des saudischen Projektes entscheiden.

Für seine Reformen und die Ankündigung, Frauen das Autofahren zu erlauben, wurde vor allem der junge Kronprinz Mohammed bin Salman weltweit gelobt. Doch über dem nahenden historischen Datum liegt seit wenigen Tagen auch ein Schatten. Einige der prominentesten Autofahr-Aktivisten der vergangenen Jahre und Jahrzehnte wurden in der vergangenen Woche festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, den inneren Frieden des Landes zu gefährden.

Der Zeitpunkt scheint paradox. Aber Experten gehen davon aus, dass der 32-jährige Thronfolger klar machen will, dass Wandel im Königreich von ihm allein ausgeht – nicht von Aktivisten. Die Liberalisierungen sollen demnach in erster Linie seinem Machtkalkül und wirtschaftlichen Konzept dienen. Mit der gesellschaftlichen – wenn auch nicht politischen – Öffnung ergeben sich für Frauen auch neue Arbeitsfelder, die für sie bisher tabu waren. So warben die Fahrdienste Uber und Careem unlängst damit, auch Frauen rekrutieren zu wollen. Nauf al-Attibi hat es als Ingenieurin sogar geschafft, in eine klassische saudische Männerdomäne vorzudringen. Von ihrem persönlichen Fahrer habe sie sich schon verabschiedet, sagt sie, während sie in einem Autohaus in Riad steht und überlegt, welchen Wagen sie künftig lenken will. „Ich warte sehnsüchtig auf den Tag, an dem Frauen fahren dürfen.“

Doch al-Attibi hat – wie viele andere Frauen in Saudi-Arabien – auch etwas Sorge vor dem Tag Ende Juni. Sie befürchtet, auf der Straße von Männern belästigt zu werden. Schon seit Monaten kursieren Witze und Schmähungen über Frauen am Steuer in sozialen Medien. König Salman hatte angekündigt, sexistische Beleidigungen zu bestrafen. (dpa)