Ende einer Ära bei Audi

Erst vor wenigen Tagen durchsuchten Ermittler die Privatwohnung von Audi-Chef Stadler (Bild) in Ingolstadt. Der Verdacht: Betrug im Zusammenhang mit der Diesel-Affäre. Jetzt kommt der Manager in U-Haft. | Daniel Karmann/dpa

Schon seit zweieinhalb Jahren, seit der Aufdeckung des Dieselskandals im Herbst 2015 galt Rupert Stadler als Audi-Chef auf Abruf. VW-Konzernchef Martin Winterkorn und sechs Audi-Vorstände mussten ihren Hut nehmen – aber Stadler blieb. Er trage keine Schuld, nicht einmal im Falle einer Anklage sähe er einen Grund für einen Rücktritt, hatte Stadler gesagt. Selbstbewusst und aufgeräumt präsentierte er noch vor wenigen Wochen seinen „Angriffsplan 2022“ und zeigte sich optimistisch, dass er die Früchte als Vorstandschef dann selbst ernten werde.

Aber in nur einer Woche hat sich der Wind vollkommen gedreht. Die Münchner Staatsanwaltschaft hat nicht nur ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs gegen Stadler eingeleitet, er soll Dieselautos mit manipulierter Abgasreinigung in Europa wissentlich in den Verkehr gebracht haben. Eine Ermittlungsrichterin hat ihn am Montag sogar verhaften lassen, wegen Verdunkelungsgefahr: Es habe Hinweise gegeben, dass Zeugen oder andere Beschuldigte im Dieselskandal beeinflusst werden sollten, sagte ein Staatsanwalt.

Der Aufsichtsrat des VW-Konzerns trat am Montag zusammen und beriet über die Konsequenzen. Bisher hatten die wichtigsten VW-Aktionäre, die Familien Porsche und Piëch, Stadler loyal den Rücken gestärkt und alle Rücktrittsforderungen abgewehrt. Aber jetzt wurde der Druck enorm, rasch machten die Namen möglicher Interimschef in Ingolstadt die Runde. Mit Stadlers Abgang würde eine Ära bei Audi enden. Mehr als elf Jahre lang stand er an der Spitze der Volkswagen-Tochter in Ingolstadt, die den Löwenanteil zum Konzerngewinn erwirtschaft und mit den technischen Entwicklungen für ihre Oberklasseautos den Weg für die anderen Konzernmodelle bahnt. Stadler hat Audi zu einem globalen Unternehmen gemacht, den Umsatz von 34 auf 60 Milliarden Euro verdoppelt und den Betriebsgewinn auf rund fünf Milliarden Euro gesteigert. Aber das ist Lorbeer von gestern.

Der Bauernsohn aus dem oberbayerischen Landkreis Eichstätt hatte an der Fachhochschule Augsburg Betriebswirtschaft studiert, fing bei Audi im Vertrieb an und wurde später Bürochef von VW-Konzernchef Ferdinand Piëch in Wolfsburg. Das war ein Sprungbrett für seine Karriere. 2003 kehrte er als Audi-Finanzvorstand nach Ingolstadt zurück und wurde 2007 als erster Nicht-Ingenieur Nachfolger von Vorstandschef Martin Winterkorn, der VW-Konzernchef wurde.

Das Jahr 2015 war Höhe- und Wendepunkt seiner erstaunlichen Karriere. Als Audi-Chef war er damals fast ein Star. Audi überholte Mercedes-Benz bei den Verkaufszahlen und gab im Frühjahr 2015 das Ziel aus, bis 2020 auch BMW zu überholen und Audi zur Nummer eins in der Oberklasse zu machen. Stadler verwaltete einen Teil des Privatvermögens der Familie Piëch, wurde zum Unternehmer des Jahres gekürt und als Nachfolger von VW-Chef Winterkorn gehandelt, als Piëch Anfang 2015 auf Distanz zu Winterkorn ging.

Aber dann flogen die Abgastricksereien von VW in den USA auf. Dass Stadler Manipulationen beim Sechszylinder-Turbodiesel von Audi erst bestritt, dann doch zugeben musste, sorgte für Ärger – nicht nur bei den stolzen Audianern, auch bei VW und Porsche, die den Audi-Motor auch in den Cayenne und den Touareg einbauten. Kritiker riefen schon damals nach einem Neuanfang. Im Dieselskandal machte Stadler auch danach oft keine gute Figur. Er lavierte herum, legte sich vor einem Jahr mit dem damaligen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt an, als der einen Rückruf manipulierter Audis anordnete, und wurde deshalb VW öffentlich zurückgepfiffen. Aus Wolfsburg hieß es: „Viel darf er sich nicht mehr erlauben.“ Auch geschäftlich läuft es nicht mehr rund für Audi. Im vergangenen Jahr war der China-Absatz eingebrochen. Der Rückstand auf Mercedes und BMW ist immer größer geworden. Für die Folgen des Diesel-Skandals musste Audi bereits 2,25 Milliarden Euro beiseite legen. Und immer neue Razzien und Rückrufe beschädigten das Image der Oberklasse-Marke.

Auch auf Arbeitnehmerseite verlor Stadler Rückhalt. Nicht ausgelastete Fließbänder, erst späte Zusagen für den Bau von Elektroautos auch in den deutschen Werken – es gab Buhrufe auf der Betriebsversammlung in Ingolstadt, Gesamtbetriebsratschef Peter Mosch zeigte ihm auf einer Betriebsversammlung vor einem Jahr die gelbe Karte. Als der Aufsichtsrat im August 2017 gleich vier der sieben Vorstände vor die Tür setzte, schien Stadlers Position für den Augenblick sogar gefestigt. Gegen mögliche Nachfolger wie Opel-Chef Karl Thomas Neumann oder den früheren Skoda-Chef Winfried Vahland gab es Vorbehalte. Wenn noch mehr passiere bei Audi, solle Stadler noch selbst den Kopf hinhalten, hieß es aus Aufsichtsratskreisen. Die neuen Audi-Vorstände unter Stadler sollten sich erst einmal einarbeiten.

„Ich bin ein Kämpfer!“, hatte Stadler immer wieder gesagt. Im Untersuchungsgefängnis hat er jetzt eine ganz neue Agenda. Seinem Nachfolger hinterlässt er große Baustellen und einen Plan. Audi steckt mitten in einer raschen Folge von Modellwechseln. Im Sommer soll das erste Elektro-Serienauto von Audi in Brüssel-Forest präsentiert werden, viele weitere sind geplant, die Fabriken müssen dafür umgebaut werden. (dpa)