Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen - Kampf um Frankreichs politische Kultur

Anhänger von Emmanuel Macron jubelten am Sonntag in Paris. Der Mitte-Links-Politiker Macron sieht seinen Erfolg als eine Wende in der französischen Politik. Aber der Wahlgang macht auch deutlich: Das Land driftet ab in die Extreme. | dpa



Was für ein Duell: Mann gegen Frau. Linksliberal gegen rechtsextrem. Öffnung gegen Abschottung. Mehr Europa gegen möglichst wenig. Brückenbauer gegen Demagogin. Beide Kandidaten können Frankreichs neuer Präsident werden.

Sie sind: Emmanuel Macron (39), smarter Liebling und Hoffnungsträger aller Pro-Europäer. Er sieht seinen Erfolg bei der ersten Runde der Präsidentenwahl als eine Wende in der französischen Politik. „Die Franzosen haben ihren Wunsch nach einer Erneuerung ausgesprochen“, sagte er am Sonntag.

Und Marine Le Pen (48) von der rechtsextremen Front National, das Schreckgespenst für Brüssel und Berlin. Am Sonntag äußerte sie sich so: „Die Franzosen müssen diese historische Gelegenheit ergreifen, denn die große Herausforderung dieser Wahl ist die wilde Globalisierung, die unsere Zivilisation gefährdet.“

Traut man den Umfragen, ist Macron in Durchgang zwei der klare Favorit. Doch die EU-Granden sollten sich nicht zu früh freuen. Das Brexit-Votum und die US-Wahl haben gezeigt: Alles ist möglich. Der erste Wahlgang in Frankreich macht auch deutlich: Das Land driftet ab in die Extreme. Über 40 Prozent holen die extreme Rechte und die extreme Linke zusammen. Das etablierte Parteiensystem mit Sozialisten auf der linken Seite und Republikanern auf der rechten ist zusammengebrochen. Erstmals seit Jahrzehnten schaffen es deren Kandidaten nicht ins Finale.

Le Pen kann ihr Ergebnis von 2012 von 17,9 Prozent auf über 20 Prozent deutlich verbessern, Linksaußen Jean-Luc Mélenchon erreicht um die 19 Prozent. Und das bei einer hohen Wahlbeteiligung.

Schafft Le Pen es im zweiten Wahlgang nicht, könnte das moderaten Kräften nur eine Atempause verschaffen. Denn Macron hat zwar mit „En Marche!“ (Auf dem Weg) eine hochmotivierte Bewegung geschaffen, aber keinen gut geölten Parteiapparat im Rücken. Um regieren zu können, braucht er jedoch Parlamentssitze.

Damit steht bei den Parlamentswahlen im Juni das Rückspiel an. Die Front National, bisher nur zwei Sitze stark, könnte 40 Mandate holen, heißt es. Zudem ist sie im Gegensatz zu „En Marche!“ inzwischen in vielen Regionen bestens verankert, zum Teil auch mit eigenen Bürgermeistern.

Aber wieso sind die Radikalen in Frankreich so stark? Das Land ist in einer tiefen Terror- und Sinnkrise, das hat der turbulente Wahlkampf überdeutlich gezeigt. Le Pen profitierte ohne Zweifel von der Angst vor dem islamistischen Terrorismus.

Frankreich, Mitglied im UN-Sicherheitsrat und Atommacht, ist verwundbar geworden: Seit 2015 ist es wie kein anderes westliches Land von islamistischen Terroristen heimgesucht worden. Weltweite Chiffres dieser Terrorwelle sind die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und der Musikclub „Bataclan“.

In Frankreich hat das Morden tiefe Spuren hinterlassen und den Aufstieg des rechtsextremen Front National beschleunigt.

Aber da ist noch mehr: Die Le Pen und Mélenchon wurden auch getragen von einer Welle des Frusts und der Enttäuschung über die da in Paris, über korrupte Politiker, über das System, über den wirtschaftlichen Stillstand. Über ein als unsozial empfundenes Europa, in dem der Musterschüler Deutschland so oft den Ton angibt. Es gibt aber auch Lust an der Revolte – etwa bei jungen Leuten in den großen Städten.

Und dann das FN-Thema Nummer eins: Die Einwanderung und Le Pens Gleichung: Mehr Flüchtlinge gleich mehr Terroristen. Sie will ihr Land abschotten und Ausländer beim kleinsten Vergehen ausweisen.

Egal, ob Macron oder Le Pen. Sie übernehmen von Hollande ein schwer strapaziertes Land. Die immer noch zweitgrößte Volkswirtschaft in Europa gilt seit längerem als Problemfall mit Reformstau. Die Arbeitslosenquote liegt bei zehn Prozent. Und was noch schwerer wiegt: Von den jungen Leuten hat nur jeder vierte einen Job. Die massiven sozialen Probleme in den Vorstädten mit hohen Kriminalitätsraten haben vor allem mit fehlender Integration und Zukunftsperspektiven zu tun. Dem Staat fehlen Geld und Ideen. Und ein zupackender, handlungsfähiger Präsident. (dpa)