Ein Land, zwei Welten

Phil Mallow will für Trumps Republikaner ins Abgeordnetenhaus von West Virginia einziehen. | Can Merey/dpa

Nahe der Autobahnausfahrt an der Interstate 79 wirbt ein Schild für Schusswaffen und Munition. Wenige Kilometer weiter, kurz vor dem Ende einer Sackgasse in einem Industriegebiet am Rande der Stadt Fairmont, liegt „Mom’s Place“, ein typisch amerikanischer Diner. Gerade verlässt ein Kunde das Lokal, er trägt Flecktarn und eine Pistole am Gürtel, was hier im US-Bundesstaat West Virginia nicht weiter für Aufsehen sorgt. Kurz danach versammelt sich eine Gruppe Menschen in dem Diner, bei denen eines gewiss ist: Sie alle sind glühende Anhänger von US-Präsident Donald Trump.

Ungewöhnlich ist diese Haltung hier nicht: Bei der Präsidentenwahl 2016 fuhr Trump in West Virginia eines seiner besten Ergebnisse überhaupt ein. Am 6. November stehen nun Zwischenwahlen an, bei denen das US-Repräsentantenhaus, Teile des Senats und zahlreiche lokale Parlamente gewählt werden. Phil Mallow will für Trumps Republikaner ins Abgeordnetenhaus von West Virginia einziehen, und wie jede Woche hat der 61-Jährige seine Unterstützer zum Mittagessen ins „Mom’s Place“ eingeladen. Wobei eingeladen nicht ganz richtig ist: Jeder bezahlt hier selbst.

„Mom’s Place“ ist eine Mischung aus Restaurant und Imbiss, auf der anderen Straßenseite ist ein Warenlager mit einem riesigen Lkw-Parkplatz. Rund 20 Menschen sind dem Ruf Mallows gefolgt und sitzen nun in dem Diner. Sie alle sind weiß und christlich, die meisten Männer, viele haben schon das Rentenalter erreicht. Mallow beginnt das Treffen mit einem Gebet. Er ruft dazu auf, wählen zu gehen – und das nicht nur wegen des von ihm angestrebten Amts. Vier Autostunden entfernt in Washington droht den Republikanern der Verlust der Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Sollte es für sie ganz schlecht laufen, könnte sogar der Senat kippen, die zweite Kammer des Kongresses.

Bald darauf schwenkt Mallow aufs Tagesgeschehen ein, es geht um die Migranten aus Mittelamerika, die Richtung USA unterwegs sind. In „Mom’s Place“ zeigen sich die Folgen von Trumps Strategie, Halb- und Unwahrheiten zu verbreiten, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Vor einigen Tagen hat der Präsident behauptet, in dieser „Karawane“ aus Migranten seien auch Menschen aus dem Nahen Osten, darunter womöglich Terroristen. Später räumte Trump ein, dass er dafür keine Beweise hat. Mallow sagt nun, unter den Migranten seien 111 Menschen aus dem Umfeld der Terrormiliz Islamischer Staat identifiziert worden. „Es braucht nur einen davon, um Tausende von uns bei einem Football-Spiel zu töten.“ Ein beunruhigtes Murmeln geht durch den Raum, ein Zuhörer ruft: „Es ist ein trojanisches Pferd!“ Mallow spricht von einer Invasion und fügt hinzu: „Irgendjemand organisiert das.“ Auch die Rohrbomben, die an Trump-Kritiker verschickt wurden, spricht Mallow an. Natürlich wünsche sich niemand, dass Menschen getötet würden, sagt er – und lenkt dann den Verdacht in Richtung Opposition. „Ein Teil von mir sagt: Insider-Job.“ Damit scheint er nahezulegen, Trump-Gegner könnten die Sprengsätze verschickt haben, um das Lager des Präsidenten in Verruf zu bringen. Niemand in der Runde kommt auf die Idee, Trump selbst für das vergiftete politische Klima verantwortlich zu machen. Fairmont mag tiefe Provinz sein, es sind aber keine Hinterwäldler, die sich hier versammelt haben. Die Zuhörer fragen den deutschen Reporter nach Bundeskanzlerin Angela Merkel, nach dem Steuersystem und nach Sozialversicherungen in Deutschland. Sie kennen auch die Debatte über Flüchtlinge im größten EU-Staat. Was im Gespräch mit den Menschen in dem Diner deutlich wird: Sie fühlen sich abgehängt, und sie fühlten sich einst auch ignoriert von Washington – jedenfalls bis der Geschäftsmann Trump kam, der Gegenentwurf des klassischen Politikers. „Wir haben eine Elite, die unsere Werte verachtet, die sie für rückschrittlich und barbarisch hält“, sagt einer in der Runde – zum Beispiel das Christentum. Bei der Präsidentschaftswahl im November 2016 lag Trump in West Virginia mehr als 42 Prozentpunkte vor Hillary Clinton, der Bewerberin der Demokraten – nur in einem der 50 US-Bundesstaaten hatte er einen noch größeren Vorsprung.

Die US-Wirtschaft brummt unter dem Präsidenten, die Arbeitslosenquote sinkt. Auch West Virginia profitiert davon. Allerdings geht es den Menschen in Mallows Runde längst nicht nur um die Wirtschaft. Trumps Wahlspruch lautet „Make America Great Again“, und genau das ist es, was die Menschen in „Mom’s Place“ wollen: Ein Amerika, so groß, mächtig und selbstbewusst, wie es einst war. Auf der anderen, der linksliberalen Seite Amerikas stehen nach Mallows Überzeugung „die dunklen Mächte“. Er meint damit alles, „womit wir auf der Basis dessen, was wir glauben, nicht übereinstimmen“. Womit die Menschen in „Mom’s Place“ ganz besonders nicht übereinstimmen, ist die Politik von Trumps demokratischem Vorgänger Barack Obama. Für ihn haben sie hier nur Verachtung übrig. Unter Trump werde im Weißen Haus erstmals seit Jahrzehnten wieder gebetet, lobt David Kennedy, einer von Mallows Zuhörern, der für den Stadtrat in Fairmont kandidiert. Dann sagt er einen Satz, für den er spontanen Beifall erntet: „Dieser Mann, den wir jetzt haben, ist ein Vorbild für das Land.“

Bei seiner Wahl 2016 holte Trump in Washington verschwindend geringe4,1 Prozent der Stimmen.

Donald Trump ein Vorbild für die USA? In Washington sieht das eine überwältigende Mehrheit der Menschen ganz anders. „Mom’s Place“ ist nur etwas mehr als 350 Straßenkilometer entfernt, dennoch liegen Welten zwischen Fairmont und der US-Hauptstadt – wo der Präsident so wenig Rückhalt wie nirgendwo sonst in den USA hat. Bei seiner Wahl 2016 holte Trump in Washington verschwindend geringe 4,1 Prozent der Stimmen – so wenig wie kein republikanischer Kandidat vor ihm. Hillary Clinton kam auf fast 91 Prozent. Ausgerechnet dort also, wo der Präsident seinen Amtssitz hat, von wo aus er regiert, schlägt ihm der größte Widerstand entgegen. An vielen Ecken der Stadt sind Graffitis zu sehen, die wenig schmeichelhaft für Trump ausfallen.

Es gibt sogar ein inoffizielles Anti-Trump-Hotel: eine linksliberale – wenn auch durchgestylte und nicht gerade billige – Absteige, die sich als Gegenstück zu dem wuchtigen Trump-Hotel ein paar Blocks weiter inszeniert. Im Hauptstadtbezirk kommt es öfter vor, dass sich Bewohner beim Plausch mit Besuchern aus dem Ausland für ihren Präsidenten entschuldigen. Dass sie Scham und Abscheu äußern darüber, von Trump repräsentiert zu werden. (dpa)