Der Puigdemont-Bumerang: Auslieferung könnte Separatisten nutzen

Der katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont (Bild) soll an Spanien ausgeliefert werden. | afp

Jubel gibt es bei den Gegnern der katalanischen Unabhängigkeitsgelüste nicht. Aus verständlichen Gründen, denn die Entscheidung der deutschen Justiz, die Auslieferung von Separatistenführer Carles Puigdemont wegen des Verdachts der Veruntreuung für zulässig zu erklären, könnte den Befürwortern einer Abspaltung von Spanien sogar in die Hände spielen.

Bei einer Überstellung würde der 55-Jährige nicht wegen des Hauptvorwurfs der spanischen Justiz – Rebellion – auf die Anklagebank kommen können. Die Überstellung Puigdemonts wäre ein Pyrrhussieg, ein Bumerang für die spanische Justiz.

Ist es denn möglich, dass Puigdemont in Spanien nur wegen Veruntreuung der Prozess gemacht wird, und die in U-Haft sitzenden „Gehilfen“ des Ex-Regionalchefs wegen Rebellion vor Gericht kommen und zu Haftstrafen von bis zu 30 Jahren verurteilt werden? Das fragen sich in Spanien viele. „Undenkbar!“, meinen die meisten Beobachter unisono.

Dass die spanische Justiz die Bedingungen der deutschen Auslieferung derweil ignoriert und Puigdemont doch wegen Rebellion prozessiert, sei „völlig ausgeschlossen“, versichert ein Sprecher des Obersten Gerichts in Madrid. Der zuständige Richter, Pablo Llarena, muss sich nun zwischen drei Möglichkeiten entscheiden: Er kann die Auslieferung unter den gegebenen Vorgaben akzeptieren. Oder er kann den europäischen Haftbefehl einfach zurückziehen, nach dem Motto: „Wir wollen ihn nicht mehr!“ In Justizkreisen schließt man aber auch eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg nicht aus.

Die Möglichkeit eines solchen „Vorabentscheidungsersuchens“ hatte Richter Llarena bereits im April ins Spiel gebracht. Die Justiz in Madrid bestätigte Ende Juni die Eröffnung von Prozessen gegen Puigdemont und 14 weitere separatistische Politiker wegen Rebellion, Veruntreuung und zivilen Ungehorsams. Wenn die Auslieferung von Llarena zurückgewiesen wird, könnte Puigdemont theoretisch in Abwesenheit wegen Rebellion verurteilt werden.

Viele rätseln nun, was die Entscheidung des schleswig-holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) politisch bedeuten könnte. „Wir stehen vor vielen Fragen und Zweifeln“, sagt der angesehene Starjournalist Ignacio Cembrero vor Kameras. „Wird der Richter die Auslieferung akzeptieren? Und falls ja: Wie wird sich das auf die leichte Entspannung auswirken, die wir zur Zeit im Katalonien-Konflikt erleben?“

Denn Spanien ist inzwischen politisch ein ganz anderes Land, als das, welches Puigdemont Ende Oktober 2017 auf dem Rücksitz eines Autos versteckt in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen hatte. Der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy, der jeden Dialog mit den Separatisten verweigerte, wurde Anfang Juni von Sozialistenführer Pedro Sánchez per Misstrauensvotum gestürzt. Sánchez, der gegenüber den Separatisten versöhnliche Töne anschlägt, empfing den neuen katalanischen Regionalchef Quim Torra erst vor wenigen Tagen im Regierungspalast.

Spanien ist inzwischen politisch ein ganz anderes Land geworden.

Beide zogen danach eine positive Bilanz. Während einige Medienbeobachter die deutsche Justiz scharf kritisieren, finden die Separatisten lobende Worte: „Ich freue mich sehr für Präsident Puigdemont, weil dies einmal mehr die Irrtümer und Lügen eines juristischen Verfahrens aufzeigt, das es überhaupt niemals hätte geben dürfen“, schreibt Torra auf Twitter. Aus Kreisen von Puigdemonts Partei PDeCAT heißt es, weder er noch irgendein anderer der inhaftierten oder ins Ausland geflohenen katalanischen Politiker hätten sich überhaupt jemals strafbar gemacht.

Puigdemont, der sich im Herbst 2017 im Zuge des verbotenen Unabhängigkeitsreferendums zunächst nach Brüssel abgesetzt hatte, ist in seiner Heimat immer noch eine schillernde Figur. Die Separatisten bezeichnen ihn weiter als „rechtmäßigen Präsidenten“. Politisch hat er, wenn man Beobachtern glauben darf, aber nur noch wenig zu sagen.

Bei der Rückfahrt von einer Skandinavienreise war er am 25. März nahe der dänischen Grenze an einer Autobahnraststätte festgenommen worden. Der gelernte Journalist kam damals ins Gefängnis von Neumünster, womit die 80 000-Einwohner-Stadt in der Provinz unvermittelt in den Blickpunkt des internationalen Interesses geriet. Die Justiz des Landes stand vor heiklen Entscheidungen und quälte sich damit über viele Wochen. Später kam er unter Auflagen auf freien Fuß.

Nun muss noch die Generalstaatsanwaltschaft den Beschluss des OLG billigen. Das gilt als Formsache und wird in den nächsten Tagen passieren. Dann ist das nördlichste Bundesland den unangenehmen Fall endlich los – und das Problem liegt wieder in Spanien. Fernando Berlin, Direktor des Radioportals „Radiocable“, sieht das Ganze aber auch als Chance: „Nun kann das Thema vielleicht wieder der Politik überlassen werden, denn dort gehört es auch hin.“ (dpa)