Das Ende der alten Bündnisse

Der Parteichef der Rechtspopulisten, Jimmie Åkesson, machte in der Wahlnacht seine Ansprüche deutlich. | afp

Denn die Flüchtlingskrise hat den großen Parteien fast überall in Europa den Boden unter den Füßen weggerissen. Zugleich haben sich die Rechtspopulisten festgesetzt. Wer sich mit ihnen nicht zusammentun will, muss neue Allianzen bilden. Rot gegen Schwarz, Mitte-links gegen Mitte-rechts, Sozialdemokraten gegen Konservative, das funktioniert nicht mehr. Nicht in Schweden und wohl auch nicht bei der Europawahl im kommenden Mai.

Bislang war die Koalitionsbildung meist in ein paar Tagen erledigt.

„Dieser Abend sollte die Beerdigung der Blockpolitik sein“, forderte Schwedens sozialdemokratischer Regierungschef Stefan Löfven noch in der Wahlnacht. Sein Land steht vor einer historischen Zäsur. Denn bislang war die Koalitionsbildung meist in ein paar Tagen erledigt: entweder regierte ein rot-grüner Block unter Führung der Sozialdemokraten – oder ein bürgerlicher, angeführt von den konservativen Moderaten. Mehr Möglichkeiten gab es nicht.

Diesmal könnte die Regierungsbildung bis Weihnachten dauern. Sowohl Sozialdemokraten wie Moderate verloren deutlich, die Sozialdemokraten stürzten sogar auf das schlechteste Ergebnis seit mehr als 100 Jahren. Zwar blieben auch die rechtspopulistischen Schwedendemokraten als drittstärkste Kraft hinter den Erwartungen zurück. Doch mehr als jeder Sechste gab ihnen die Stimme. So verhindert die einwanderungsfeindliche Partei eine regierungsfähige Mehrheit für jeden der traditionellen Blöcke, zwischen denen weniger als 0,5 Prozentpunkte liegen.

Der Parteichef der Rechtspopulisten, Jimmie Åkesson, machte in der Wahlnacht gleich seine Ansprüche deutlich: Die Schwedendemokraten müssten nun „einen immensen Einfluss“ bekommen. „Das kann uns niemand nehmen“, sagte er. Doch diesen Einfluss will ihnen niemand geben.

Schon im Wahlkampf hatten die Rechtspopulisten die anderen Parteien gelähmt. Sozialdemokraten und Konservative versuchten, die Wählerflucht durch ein law-and-order-Programm aufzuhalten: Grenzkontrollen, erschwerter Familiennachzug für Flüchtlinge, schnelle Versprechen von mehr Polizei und Feuerwehr. Dabei hätten sie im Rest Europas sehen können, was passiert, wenn man Populisten imitiert: Man bestätigt ihre düstere Vision, nimmt ihnen aber keine Stimmen ab.

Stattdessen polarisiert sich das politische Bild weiter. In Schweden gewannen nicht nur die Rechten, sondern auch die sozialistische Linke. Andere Wähler suchten die Flucht bei kleinen bürgerlichen Parteien. Die Verlierer: die großen.

Dieses Resultat reiht sich ein in die Liste vergangener Wahlen, die die EU nicht unbedingt stabilisiert haben. In Ungarn fuhr der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orban einen unerwartet deutlichen Sieg ein – sein Land muss sich womöglich bald einem Sanktionsverfahren wegen Gefährdung von EU-Grundwerten stellen. In Italien regieren seit mehr als 100 Tagen Populisten. Hier und in Frankreich wurden die traditionellen Parteien nahezu pulverisiert.

„Immerhin sind die Bäume der Populisten nicht in den Himmel gewachsen“, kommentierte ein EU-Diplomat am Montag die Schweden-Wahl. Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, Udo Bullmann, mahnte: „Allerdings sind die Ergebnisse der extremen Rechten in einem Land, das für das fortschrittlichste Sozialsystem bekannt ist, eine ernsthafte Warnung.“

Mit der Erosion der großen Parteien schwindet auch in der EU vor der großen Wahl im Mai die Berechenbarkeit. Die politischen Systeme werden instabiler – dabei stehen gerade genügend Aufgaben an, für die es eigentlich Geschlossenheit bräuchte: Brexit, Haushaltsverhandlungen. Müssen dafür auch auf EU-Ebene die alten Blöcke brechen? Wie geht es nun weiter in Schweden? Die Sozialdemokraten wollen als stärkste Partei den Ministerpräsidenten stellen und eine blockübergreifende Regierung führen. Doch wer mitmacht, ist unklar. Spannend ist der Blick auf die liberal-konservative Allianz, die von gleich zwei Seiten aufgebrochen wird. Ministerpräsident Löfven versucht, von links Partner abzuwerben, Schwedendemokrat Åkesson drängt von rechts auf eine Zusammenarbeit.

Denn der konservative Spitzenkandidat Ulf Kristersson hat sich nicht so deutlich wie die anderen zur Frage positioniert, ob er sich nicht vielleicht doch von den Rechten zum Regierungschef wählen lassen würde. Das gäbe den Schwedendemokraten eine mächtige Position als Mehrheitsbeschaffer einer Minderheitsregierung. Vor der Europawahl könnte auf Umwegen so eine weitere rechtspopulistische Partei in der EU ihre Ideen durchdrücken.