Dagmar Berghoff: die erste „Miss Tagesschau“

„Tagesschau“-Sprecherin Dagmar Berghoff am 31. Dezember 1999 während ihrer letzten Sendung in Hamburg. | Db Ard aktuell/ARD_aktuell/dpa

„Das ist ja „Tagesschau“-pünktlich!“, ruft Dagmar Berghoff durch die Gegensprechanlage und öffnet die Tür zu ihrer Wohnung in Hamburg. Hört man ihre markante, rauchig klingende Stimme, fühlt man sich sofort zurückversetzt in jene Zeit, als die Frau mit den blonden Haaren und dem makellosen Image das Gesicht der „Tagesschau“ war und die Sprecherin der Nachrichtensendung noch fast jeder kannte. Berghoff war die erste „Miss Tagesschau“ und blieb bis zu ihrem Abschied am Silvesterabend 1999 auch in der Beliebtheit für viele die Nummer eins.

Die 20-Uhr-Hauptausgabe des ARD-Flaggschiffs einzuschalten, ist für sie noch immer Pflicht. Es sei denn, es gibt was zu feiern – wie ihren 75. Geburtstag am Donnerstag (25. Januar). Mit ihrem Ex-Kollegen Wilhelm Wieben und zwei weiteren Freunden wird dann wieder Rummikub gespielt, wie seit vielen Jahren an Geburts- und Feiertagen. Was sie sich wünscht? „Eigentlich nur Gesundheit. Wenn man jünger ist, wünscht man sich so viel, aber – so banal es auch klingen mag – Gesundheit ist doch das Wichtigste.“

Wie 75 fühle sie sich nicht. „Wenn man früher an dieses Alter gedacht hat, dann hat man alte, schwarz gekleidete Frauen gesehen. Mein Lebensgefühl ist gute 20 Jahre jünger“, sagt sie. „Ich glaube, das liegt daran, dass man in der heutigen Zeit so viele Angebote hat. Wenn man noch ein bisschen neugierig und lebhaft ist, kann man ganz viel davon annehmen.“ Anders sei das natürlich bei Krankheiten.

23 Jahre lang war Berghoff das Gesicht der „Tagesschau“, aber gewohnt, als Sprecherin hinter der Nachricht zurückzustehen. Die Momente, in denen sie selbst mal vor laufender Kamera für Schlagzeilen sorgte, gehören zu den bekanntesten Anekdoten in der Geschichte der Sendung. Etwa die Proteste, die die Sprecherin auslöste, als sie eines Tages mit Lockenfrisur auf dem Bildschirm erschien.

„Mir schrieben die Leute zum Beispiel: Mein Hirtenhund liegt vorm Fernseher und bellt Sie an.“ Auch ihr Lachkrampf beim „WTC-Turnier“-Versprecher ist legendär – zuvor hatte sie noch mit der Redaktion darüber gewitzelt, doch mal lesen zu können, Boris Becker habe im WC gewonnen.

„Die Disziplin nimmt ihren Abschied“, titelte eine Zeitung, als Berghoff Silvester 1999 ihre letzte Ausgabe sprach. „Für diesen Beruf muss man diszipliniert sein, die „Tagesschau“ wartet nicht. Wenn es um 20 Uhr losgeht, geht es um 20 Uhr los“, sagt sie. Und bei allen Unterschieden zwischen Beruf und Privatem: „So etwas kann einem ins Blut übergehen. Wenn mein Mann und ich ausgingen, sagte ich ihm, dass ich noch zweidreiviertel Minuten bräuchte – und er war fasziniert, denn es stimmte auf die Sekunde.“

Der Tod ihres Mannes im Jahr 2001 war ein großer Einschnitt in ihrem Leben. „Wir hatten eine Beziehung, von der man sich immer gewünscht hat, dass man so was mal erlebt. Und ich habe sie gehabt“, erzählte sie später in einem Interview.

Bis vor einigen Jahren arbeitete die Moderatorin noch fürs Radio, so wie sie es von Anfang an getan hatte. Auch damals, als „Tagesschau“-Chefsprecher Karl-Heinz Köpcke sie zu seinem bis dahin nur aus Männern bestehenden Team holte – obwohl auch er zu den Zweiflern zählte. „Er war eigentlich nicht der Meinung, dass Frauen die „Tagesschau“ sprechen können. Von Politik würden sie nichts verstehen, von Sport schon gar nichts, und bei Unglücken in Tränen ausbrechen“, hatte Berghoff mal erzählt.

Nachdem sie unter anderem beim damaligen Südwestfunk als TV-Ansagerin, Moderatorin und Hörfunksprecherin in Baden-Baden gearbeitete hatte, begrüßte Berghoff am 16. Juni 1976 erstmals die Zuschauer der „Tagesschau“.

Dabei hatte die gebürtige Berlinerin, die in Ahrensburg bei Hamburg aufwuchs, eigentlich Schauspielerin werden wollen und das auch studiert. Anfangs nahm sie parallel zur TV- und Radioarbeit einige Rollen an, etwa für Dieter Wedels „Die Semmelings“.

Als die „Tagesschau“ kam, war Schluss damit. „Dieter Wedel, mit dem ich damals liiert war, sagte mir: „Wenn Du ‚Tagesschau‘-Sprecherin wirst, ist Dein Gesicht für die Schauspielerei verbraucht, dann bist Du wirklich das Gesicht der ‚Tagesschau‘.“ Zumal ich auch noch die erste Frau bei der „Tagesschau“ war“, erinnert sich Berghoff. Lange sei es ihr damals schwer gefallen, als Zuschauerin ins Theater zu gehen. „Auf dem Nachhauseweg war ich dann in meinen Gedanken die Hauptdarstellerin – aber das hat sich verloren im Lauf der Zeit.“ Mit Wedel habe sie nur wenig Kontakt, „aber wenn wir uns sehen, begrüßen wir uns herzlich“, erzählt Berghoff und sagt angesichts der Schlagzeilen um ihn: „Ich denke, Dieter Wedel hatte es nicht nötig, eine Frau gegen ihren Willen ins Bett zu bekommen. Außerdem meine ich, dass jede Frau, wenn sie nicht gerade noch sehr jung und unerfahren ist, weiß, wie sie sich zu wehren hat.“

„Ich habe mich niein Situationen befunden, in denen ich mich als Opfer oder ausgeliefert gefühlt habe.“

Der #MeToo-Debatte stehe sie etwas zwiegespalten gegenüber. „Ich selbst habe sexuelle Annäherungsversuche erlebt, nicht innerhalb der „Tagesschau“, aber von anderen Kollegen. Ich wusste aber so etwas sofort abzuwehren. Ich habe mich nie in Situationen befunden, in denen ich mich als Opfer oder ausgeliefert gegenüber jemandem mit mehr Macht gefühlt habe.“ Als Feministin sieht sie sich nicht, wie Berghoff in einem „tagesschau.de“-Interview sagte. „Obwohl ich eine der ersten Nachrichtensprecherinnen war und damit eine ziemliche Verantwortung hatte, für diesen Beruf und für die Frauen. Wenn ich versagt hätte, wären wieder jahrelang nur noch Männer als Sprecher eingesetzt worden.“

Wenn die einstige Chefsprecherin heute TV-Nachrichten verfolgt, ist sie noch immer ein bisschen im Job: „Wenn jemand ärst statt erst oder Pfärd statt Pferd sagt, fällt mir das sofort auf. Aber das betrifft weniger die „Tagesschau“ – und darauf hinweisen würde ich die Kollegen dort ohnehin nicht“, sagt sie. „Ich bin zu lange raus, um mich noch einmischen zu dürfen.“ (dpa)