Brandbrief gegen den Papst



Dass der Vatikan manchmal einem Intrigantenstadel gleicht, beweist derzeit ein elf Seiten langes Papier, das die Wellen hochschlagen lässt. Verfasst hat es Carlo Maria Viganò, italienischer Erzbischof und Ex-Botschafter des Vatikans in den USA. Der hochrangige Würdenträger des Kirchenstaats holt darin zum Rundumschlag gegen Papst Franziskus aus, weil der in einem Missbrauchsskandal in den USA versagt habe. Das Unerhörte: Offen fordert er den Papst – immerhin Stellvertreter Christi auf Erden – gleich noch zum Rücktritt auf.

Im Kern geht es um die Vorwürfe gegen den inzwischen abgesetzten US-Kardinal Theodore McCarrick.

Im Kern geht es um die Vorwürfe gegen den inzwischen abgesetzten US-Kardinal Theodore McCarrick. Der frühere Erzbischof von Washington soll in den vergangenen Jahrzehnten reihenweise Seminaristen und selbst Minderjährige missbraucht haben. Vor Kurzem entzog Franziskus McCarrick die Kardinalswürde. Doch Viganò wirft dem Papst nun vor, jahrelang schon von den Vorwürfen gewusst, aber zunächst nichts gegen den „Serien-Jäger“ getan zu haben. Viganò stellt Franziskus damit in die Ecke der Vertuscher, die der Pontifex selbst stets fassen will.

Wer ist dieser Mann, der auf einmal so viel Gift ausschüttet? Hinter Vatikanmauern ist Viganò kein Unbekannter, im Gegenteil. Der 77-Jährige spielte im sogenannten Vatileaks-Skandal eine Schlüsselrolle, der den Rücktritt des damaligen Papstes Benedikt XVI. einläutete. Als Viganò 2011 gegen seinen Willen in die USA geschickt wurde, soll er in Briefen seine Sorge kundgetan haben, dass nun Korruption und Misswirtschaft in der Kurie weiter gedeihen könnten.

Nachgesagt wird Viganò, dass er eine Karriere im Vatikan angestrebt hatte, diese ihm aber verweigert wurde. Er war zwar einst im Vatikanischen Staatssekretariat tätig, wollte dort aber bis an die Spitze, also quasi die Nummer Zwei am Heiligen Stuhl werden. Dann wurde er enttäuscht und in die USA versetzt. Verletzte Ehre also? Vielleicht. Andere halten es für ein „orchestriertes Manöver“ von Franziskus‘ konservativen Feinden in den USA. Gerade in der Führung der US-Katholiken wurden zuletzt Stimmen laut, der liberale Ansatz des Argentiniers, mit seiner starken Betonung auf soziale Fragen und Migrationsthemen, sei eine Bedrohung für die Kirche. Schließlich sind die Katholiken in den USA eine Minderheit unter den Christen, und viele der Evangelikalen Kirchen sind in sozialen Fragen ohnehin deutlich konservativer als Rom – um nicht zu sagen fanatisch. Ein Papst, der Verständnis für Homosexuelle aufbringt und Priester anweist, Abtreibung zu vergeben, könnte das Gefüge noch weiter ins Ungleichgewicht bringen. So brachte der Erzbischof von Chicago, Kardinal Blase Cupich, den Vorwurf auf, Viganò sei bei seinem Brandbrief von englischsprachigen Muttersprachlern geholfen worden. Damit meinte er offenbar hochrangige, erzkonservative Kirchenfürsten aus den USA, denen Franziskus ein Dorn im Auge ist.

Hinzu kommt, dass sich die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft im – stark von konservativ-evangelikalen Kirchen geprägten – Bundesstaat Pennsylvania, wonach sich 300 Priester in dem Staat an mehr als 1.000 Jugendlichen vergangen haben sollen, nur als die Spitze eines Eisbergs entpuppen könnten. Staatsanwälte in Staaten wie Missouri oder Illinois wollen ebenfalls Kirchenarchive öffnen und bekamen dafür bereits positive Signale zumindest von einigen der Diözesen, berichtete das Politikjournal „The Hill“.

Viganòs Schreiben gewährt aber neben dem Thema Missbrauch auch Einblicke in die Seelenwelt einiger Kirchenvertreter. Denn er zieht vor allem über Homosexuelle im Vatikan her. „Man muss die homosexuellen Netzwerke in der Kirche ausradieren“, schreibt er zum Beispiel. „Diese Netzwerke sind bereits in vielen Diözesen, Seminaren, religiösen Orden verbreitet, sie agieren verdeckt von Geheimnissen und Lügen mit der Macht der Tentakel einer Krake, die unschuldige Opfer und priesterliche Berufungen vernichten und die ganze Kirche strangulieren.“ Im Vergleich zu seinen Vorgängern gilt Franziskus als einer, der sich gegen die Diskriminierung von Homosexuellen einsetzt – auch wenn sich an der Linie der katholischen Kirche mit Blick auf gleichgeschlechtliche Liebe nichts geändert hat. Und erst dieser Tage trat Franziskus wieder mit einer Äußerung über Homosexuelle ins Fettnäpfchen, als er suggerierte, Eltern schwuler oder lesbischer Kinder könnten in der Psychiatrie Hilfe für den Nachwuchs suchen.

Franziskus erwischte Viganòs Veröffentlichung justament während seiner Irlandreise am vergangenen Wochenende, über der sowieso schon der schwere Schatten des Missbrauchs hing. Denn der Papst steht seit Langem in der Kritik, nicht genug gegen pädophile Geistliche zu tun. Skandale wie zuletzt in Chile, wo Franziskus einen Bischof, der Täter gedeckt hatte, zunächst in Schutz nahm, beschädigten sein Image weiter.

Auf die Frage von Reportern, was er von Viganòs Brandbrief halte, wollte der Papst nicht antworten. „Ich sage dazu kein Wort. Lest aufmerksam die Mitteilung und bildet euch ein eigenes Urteil“, sagte er. „Ich denke, die Mitteilung spricht für sich selbst.“ (dpa)