Boeing-Fiasko beim Kampf gegen die Urangst

<p>Trauer der Angehörigen nach dem Absturz: Nach zahlreichen anderen Ländern verhängen vorsichtshalber auch die USA ein Startverbot für den Flugzeugtyp. Der Grund: Die Ermittler haben neue Erkenntnisse.</p>
Trauer der Angehörigen nach dem Absturz: Nach zahlreichen anderen Ländern verhängen vorsichtshalber auch die USA ein Startverbot für den Flugzeugtyp. Der Grund: Die Ermittler haben neue Erkenntnisse. | afp

Nach dem Flugstopp für seinen bisherigen Hoffnungsträger droht dem US-Hersteller Boeing ein finanzieller wie auch logistischer Albtraum. Zusätzlich zum enormen Imageschaden drohen Schadenersatzforderungen betroffener Airlines und der Verlust von Neuaufträgen, meint der Luftfahrtanalyst Wolfgang Donie. „Insgesamt betrachtet, ist das ein einziges Desaster“, sagt Donie und warnt auch vor kurzfristigen Engpässen beim Lufttransport. „Der Markt ist schwierig, es fehlt an Ersatzflugzeugen – das könnte schon zu Engpässen führen.“

„Boeing kann es verkraften, aber es dürfte sehr weh tun, je länger die Flugverbote andauern.“

Allerdings glaubt er kaum, dass auch ein mehrmonatiges Flugverbot für die Boeing 737 Max 8 den US-Konzern existenziell gefährden könnte. „Boeing kann es verkraften, aber es dürfte sehr weh tun, je länger die Flugverbote andauern.“ Denn dadurch können jetzt diverse neue Maschinen nicht mehr ausgeliefert werden. Mehr als 350 Boeing-Max-Flugzeuge wurden seit der Markteinführung 2017 in diversen Ausführungen an Fluggesellschaften in aller Welt ausgeliefert, weitere 4.600 Maschinen des Typs sind bestellt. Für den Konzern dürfte das nun auch bei den Lieferketten Probleme aufwerfen – das gilt etwa für die Lagerung angelieferter Bauteile oder nicht übergebener Flugzeuge. Der Tui-Konzern kündigte noch etwas unpräzise an, die Ausfallkosten nach Beilegung des Flugverbots gemeinsam mit Boeing „bewerten“ zu wollen – die Airline Norwegian erwägt dagegen bereits Schadenersatzforderungen wegen Nutzungsausfall.

„Boeing muss jetzt dringend klare Antworten liefern, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen“, sagt der Luftfahrtexperte Cord Schellenberg, der von einem Einschnitt spricht. Die emotional stark aufgeladene Debatte um die Zuverlässigkeit der neuen Maschine habe bei vielen Passagieren und auch Besatzungen Urängste ausgelöst, weil gegen einen Grundkonsens der Fliegerei verstoßen worden sei. „Der besteht ja darin, dass Weiterentwicklungen bewährter Modelle einen zusätzlichen Sicherheitsgewinn bringen – und das hat die weltweite Luftfahrt in den vergangenen Jahren ja auch gut hinbekommen.“ Es sei daher ungewöhnlich, dass Flugzeugbezeichnungen in so kurzer Zeit zum Synonym für Unzuverlässigkeit und Unsicherheit verkommen. Kinderkrankheiten seien vor allem bei Neuentwicklungen zu erwarten, weniger bei so bewährten Typen wie der als verlässlich geltenden Boeing 737.

„Für die gesamte Industrie ergibt sich dadurch ein völlig neuer Gedankenansatz“, meint Schellenberg. Ob der Konkurrent Airbus von der Lage profitiert? „Wenn die Ergebnisse der Untersuchung vorliegen, kann man das wohl genauer beantworten“, meint der Experte, der sich vor allem bei margenschwachen Airlines einen opportunistisch motivierten Wechsel zur Konkurrenz vorstellen kann.

Boeing hatte unter dem Eindruck des Erfolgs seines Konkurrenten Airbus mit der A320neo auch auf die Weiterentwicklung seines Bestsellers Boeing 737 statt einer kompletten Neuentwicklung gesetzt. Wie Airbus hatte auch Boeing seinem eigenen Erfolgsmodell vor allem neue, sparsamere Triebwerke verpasst – die aber in ihrer Komplexität die Flugeigenschaften der Maschine beeinträchtigten. Ob die deshalb geänderte Steuerungssoftware letztlich ursächlich war für die kurz aufeinander folgenden Unfälle von Boeing-737-Max-8-Jets in Indonesien und Äthiopien, muss nun die Auswertung von Stimmaufzeichnungsgerät und Flugdatenschreiber ergeben. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, könnten auf Boeing weitere Schadenersatzforderungen zukommen. Wie hoch das Misstrauen mittlerweile ist, zeigt eine Entscheidung der betroffenen Airline: Sie lässt die Auswertung nicht im Herstellerland USA, sondern in der Airbus-Heimat Frankreich durchführen. (dpa)

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