Billige Zwischenmiete im Sternehotel

Blick auf die Stadt vom ehemaligen Hotel Dolder Waldhaus. Vor dem Abriss wohnen Zwischenmieter in dem einstigen Vier-Sterne-Haus. | Christiane Oelrich/dpa

Der Blick von der Terrasse ist grandios: Zürich liegt Andrea Forgacs zu Füßen, der See dahinter auch, bei gutem Wetter sogar das Alpenpanorama. Selbst ein Studio-Apartment wäre in der Schweizer Metropole bei so einem Ausblick kaum unter 1.600 Euro zu haben. Forgacs hat für etwa die Hälfte ein kurioses Schnäppchen ergattert: Ein Zwei-Zimmer-Apartment im ehemaligen Vier-Sterne-Hotel Dolder Waldhaus in bester Lage, Highspeed-Internet inklusive.

Wo früher die Lobbywar, stehen jetzt Tischtennisplatteund Billardtisch.

„Yoga vor den Riesenfenstern, das ist doppelt erholsam“, schwärmt sie. Das Haus mit 70 Zimmern und Apartments aus den 70er Jahren wird abgerissen, aber nicht vor Ende 2019. Bis dahin wohnen dort nun rund 100 Leute zwischen 18 und 75 günstig zur „Zwischenmiete“. In einer Stadt, wo Wohnraum rar und Mieten hoch sind, boomt dieses Geschäft, sagt der Immobiliendienstleister Wüest. Die junge Firma Projekt Interim richtet solche Objekte eigens dafür her und managt sie.

Wo früher die Lobby war, stehen jetzt Tischtennisplatte und Billardtisch. Auf dem abgedeckten einstigen Swimmingpool lockt ein Box-Ring zur körperlichen Ertüchtigung. In einer Gemeinschaftsküche mit Öfen gibt es lange Tische, daneben gemütliche Leseecken mit dicken Sitzkissen. Ein paar Anwohner haben die Ge- und Verbote für die Teilnahme am Tischtennisturnier an die Wand genagelt.

Wohngemeinschaftsfeeling pur. „Es ist ein Haus der Begegnung“, sagt Forgacs. Die 32-Jährige aus Bad Oeynhausen hat in Zürich eine Galerie. Künstler haben schon in dem Ex-Hotel ausgestellt, in der Küche klönen Bewohner beim Essen. „Da entsteht auch etwas“, sagt Forgacs. Anders als in den meisten Mietshäusern habe hier jeder Lust auf neue Kontakte. Das ist ganz im Sinne von Projekt Interim.

„Wir achten immer auf eine gute Mischung, hier sind Studenten, Rentner, Schweizer, Ausländer, Unternehmer und Arbeiter eingezogen“, sagt Lukas Amacher. „So können sich spannende Kontakte und beruflich neue Netzwerke ergeben.“ Der Jurist landete auf der Suche nach einem Musikstudio vor ein paar Jahren selbst in einer Zwischenmiete. Dort traf er auf die heutigen Partner, 2013 ging die Firma an den Start.

Günstige Preise und das gemeinschaftliche Ambiente sind den Machern wichtig: „Wir sind keine Dienstleister für Luxusnutzungen“, betont er. Die Firma hat schon fast 100 Projekte umgesetzt, von der Villa über das Mehrfamilienhaus bis zur Büroetage und dem Industrieareal.

Zwischenmiete als günstiger Wohnraum: „Eine zukunftsfähige Idee“, findet Melanie Humann, Professorin für Nachhaltigen Städtebau in Dresden. „Es gibt gerade in Städten immer eine Klientel, der es reicht, keine langfristige Wohnperspektive zu haben.“ In Deutschland habe es Ähnliches vor 15 Jahren gegeben, etwa in Berlin. Allerdings wurden ungenutzte Räume dort vor allem von Kulturschaffenden oder Gewerbetreibenden vorübergehend genutzt, meist in Eigenabsprache mit den Besitzern. Sie gibt aber zu bedenken, dass das Konzept auch Geschäftemacher auf den Plan rufen könnte. „Die Grundideen sind immer gut, aber so etwas kann leicht mit Profitgier ausgenutzt werden.“

Zwischen- oder Umnutzung bestehender Gebäude – auf dem Gebiet ist Architektin Barbara Buser aus Basel eine Pionierin. Sie will Gebäude und Areale vor dem Abriss retten. „Mit einem Traum fing es an“, sagt sie, im Jahr 2000, als mitten in Basel ein Areal mit alten Fabrikhallen abgerissen werden sollte. Buser und Kollegen bekamen mit ihrem damals verwegenen Projekt den Zuschlag.

Heute ist das 12.000 Quadratmeter große Gundeldinger Feld ein vibrierendes Viertel mit Handwerkern, Restaurants und Läden und einer langen Warteliste von potenziellen Mietern. „Hier arbeiten wieder 250 Leute wie früher in der Fabrik, und wir haben jeden Tag rund 1.000 Besucher“, sagt Buser. Buser will Land der Spekulation entziehen, bezahlbaren Wohnungsbau fördern und möglichst ökologisch verträglich umbauen, wie sie sagt. Im Gundeldinger Feld heißt das auch: es gibt nicht den letzten Schrei an Wärmedämmung. „Eine Schlosserwerkstatt braucht nicht mehr als 18 Grad“, sagt sie. Ansonsten wird auf 20 Grad geheizt. Wenn ein Mieter sich über niedrige Temperaturen beschwert, bekommt er einen Pullover geliehen. Buser hat viele ähnliche Projekte verwirklicht. Zurzeit arbeitet sie etwa an der Umnutzung eines alten Krankenhauses.

Zurück in Zürich. Forgacs und ihre Partnerin bewohnen zwei ehemalige Hotelzimmer im 7. Stock. „Der Platz reicht uns“, sagt sie. Die beiden haben eine 80-Quadratmeter-Wohnung verlassen, weil sie sich verkleinern und bewusster mit Konsum umgehen wollen. Sie wollen sich nach dem Wohnen im Hotel später noch weiter verkleinern. (dpa)